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Wörtches Crime Watch 08/2009

 

David Ignatius: Das Netzwerk

 

Das Netzwerk

Vielleicht erinnert man sich bei dem Namen David Ignatius an den Moderator beim Weltwirtschaftsforum 2009 in Davos, der zwischen die Fronten der hitzigen Diskussion zwischen Shimon Peres und Recep Tayyip Erdogan geriet und dann feststellte, dass es in diesem Streit keine "mittlere Position" geben könne.

Mittlere Positionen sind vermutlich auch gar nicht David Ignatius Ding, weil er neben seinem Job bei der "Washington Post" eine Reihe exzellenter Spionageromane verfasst hat, die immer ein wenig im Schatten der Großen Vier (Eric Ambler, John LeCarré, Ross Thomas und Robert Littell) standen. Nachdem Ridley Scott aus "Body Lies" ("Der Mann, der niemals lebte") einen klugen und eleganten Film gemacht hatte, und bevor ein ganz neuer Roman von Ignatius im nächsten Frühjahr auf deutsch erscheinen wird, füllt rororo jetzt immerhin die Lücke und bringt endlich "Siro" heraus - unter dem deutschen Titel: "Das Netzwerk". Obwohl das Buch von 1991 stammt, als die Welt noch ein bisschen anders, wenn auch nicht unbedingt schöner aussah, und gar in den Jahren 1979ff. spielt, als die Welt auch noch anders und auch damals schon nicht schöner war, kann man bei der Lektüre sehr gut die Qualitäten und Themen und vor allem die Denkweise von Ignatius erkennen.

1979 war das Image der USA auf einem Tiefpunkt, in Teheran nahm das neue Regime die US-Botschaft in Geiselhaft, ein Befreiungsversuch scheiterte kläglich, Jimmy Carter galt als schwächlicher Präsident, der zuließ, dass die USA vorgeführt wurden, wie dies die Falken in der CIA sahen und sich von unpatriotischen Weicheiern und Liberalen bei ihren Kalten-Kriegsspielen gegen die Sowjets behindert fühlten. Die wiederum waren gerade wegen diverser nationaler Impulse in ihrem kommunistischen Vielvölkerreich nervös und schickten sich an, in Afghanistan einzufallen. Vor diesem Hintergrund erzählt Ignatius' Roman von einer illegalen Operation der CIA in Zentralasien, die zwar die politische Zustimmung obskurer Strippenzieher im Weißen Haus hat, aber nicht die des Kongresses, geschweige denn die der Chefebene des Geheimdienstes. Also zieht Edward Stone, ein Veteran des Kalten Krieges, noch einmal alle Register seines Könnens. Das heißt alle Register von Täuschung, Betrug, Intrige und Kaltschnäuzigkeit, die sich um Menschenleben nicht scheren.

Weil die CIA ihm keine offizielle Großoperation genehmigt, simuliert er für die Sowjets eine Groß-Turkestanisch-muslimische Autonomiebewegung von Kasachstan über Usbekistan bis Armenien. Also den traditionellen Achillesfersengebieten der UdSSR. Wie Ignatius das Stone machen lässt, ist byzantinisch abgebrüht, wie er seine Figuren - eine junge, idealistische Agentin und ein geheimdienstlicher Hallodri - durch die Höllen der von ihnen selbst aufgebauten Fallen hetzt, das ist grandios erzählt. Manchmal fast behäbig, aber ganz genau, dann wieder sehr komisch und bizarr, dann wieder lakonisch und verblüffend. Klar ist: Gute und Böse gibt es nicht, und die Figuren sind so wie sie agieren, bewaffnet mit einer glasklaren Weltsicht, erheblichem Witz, wenig bis keiner Moral und, im Falle von Edward Stone, von eisigem Machiavellismus. So werden wir Zeuge eines bizarren Rekrutierungsgesprächs mit Beinahevergewaltigung und anschließendem Knockout, erfreuen uns an sehr klugen Überlegungen zum Status von Frauen in Geheimdiensten, und über den Wahnsinn von Bürokratie und Inkompetenz in allen Lebenslagen.

David Ignatius ist ein Autor, der der Welt mit allen Mitteln erzählerisch auf den Pelz rückt, nur nicht von einer Position der Mitte aus.

David Ignatius: Das Netzwerk. (Siro, 1991). Roman. Aus dem Amerikanischen Tanja Handels und Thomas Merk. Deutsche Erstausgabe. Reinbek: Rowohlt, 2009, rororo Bd. 24908, 667 S., 9.95 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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