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Wörtches Crime Watch 11/2000

Irene Dische: Ein Job

 

"Was soll's?" ist eine fatale Frage, wenn man sie an Literatur stellen muss. Irene Disches seltsames Buch "Ein Job" provoziert diese Frage.

Nicht etwa, weil unter dem Titel "Ein Kriminalroman" steht. Den Drang feuilletonnotorischer Edelfedern zum "Niederen" hat es gerade in den letzten zwanzig Jahren oft gegeben. Es ist bisher noch nie etwas Gescheites dabei herausgekommen. Aber man soll ja nicht verallgemeinern, und nur weil Dische partout einen Kriminalroman schreiben will, muss der ja nicht a priori misslingen.

Noch nicht einmal die Tatsache, dass Dische die Perspektive eines Auftragskillers gewählt hat und versucht, sich dessen Innenleben anzuverwandeln, führt zur "Was soll's?"-Frage. Denn diese Methode bildet inzwischen ein kleines Subgenre. 1952 legte Jim Thompsons "The Killer inside me" die Grundlage für diese Species, feinere Geister dürfen sich auf Patricia Highsmiths "The Talented Mr. Ripley" aus dem Jahr 1955 berufen. In jüngerer Zeit haben dann Rubem Fonseca, Patricía Melo, Fernando Vallejo, Luis Sepulveda und Jorge Franco Ramon eine ganze Kette solcher Killer-Romane verfasst. Durchaus mit Geschlechtertausch. "Ein Job" also gehört deutlich in diese Reihe und ist so gesehen ein völlig gewöhnlicher Thriller.

Irene Disches Geschichte vom kurdischen Auftragskiller Alan, der nach New York kommt, um dort die Familie eines ehemaligen türkischen Gouverneurs einer kurdischen Provinz umzubringen (nicht etwa den bösen Gouverneur selbst) ist deswegen so hanebüchen, weil nichts richtig stimmt.Die Figur Alan zum Beispiel gar nicht. Der soll nach Disches Intention komisch durch New York stolpern und den cultural clash illustrieren, als wäre Istanbul (wo unser Killer sich graziös zu bewegen versteht) eine Art Neandertal. Istanbul (oder Ankara usw.) als Kuhdörfer, von jeder Modernität unberührte Orte, in denen man noch nicht mal weiss, wie man einen Kaffe bestellt?

Natürlich will Dische mit ihrem Verfahren nicht den tumben Alan vorführen (nicht auf dieser Ebene), sondern satirische Seitenhiebe auf den american way of life anbringen - übrig bleiben ein paar fade Witzchen über fettleibige Amis, Kakerlaken und ungehobelte Taxifahrer. Was soll's?

Vorführen möchte sie den Muchomacho-Killer natürlich schon. Deswegen wird er einerseits als herzlos und grausam aufgebaut, andererseits mit einer putzigen Vorgeschichte als "Mensch und Opfer" wieder abgefedert. Und natürlich bekommt er ein seltsames Sexualleben verpasst, denn Killer müssen einer solchen Logik nach schließlich deviant sein. Also übt sich Alan des Nachts im Weit-und-Hoch-Wichsen. Oops, was soll's?

Und als es dann endlich so weit ist, versaut Alan den Job gründlich. Das haben wir natürlich erwartet - und sei's nur genrelogisch, weil man ihn als effiziente Tötungsmaschine gar nicht so unplausibel hätte inszenieren müssen. Was dann vorliegt, als er im entscheidenden Moment nicht schiessen kann, ist bloß leider keine Fallhöhe, sondern das vordergründigste Klischee.

Noch komplizierter fatal: Alan rumpelt so auffällig durch New York und verhält sich so schreiend "unprofessionell", dass wir daran zweifeln, ob er überhaupt ausser Kakerlaken irgendetwas tot gemacht hat. Und zu alten Damen ist er schrecklich nett, bloss weil er für fünf Tage und Nächte einsam ist. Die Bereitschaft, der Autorin auch nur ein klein bisschen zu trauen, wird weit übers Limit hinaus strapaziert. Weil man aber Literatur aber auch nicht nach ihrem Realitätsgehalt abfragen muss, besonders wenn sie unter "Kunscht"-Verdacht steht, wollen wir auch daraus kein Killer-Argument machen.

So eines wäre allenfalls die Frage, was ein Buch soll, für das nur avancierteste Interpretationskunst und angewandte Literaturtheorie die Rettung bringen kann? Was ist so faszinierend an Killern für Damen der höheren Literatur, denen deutlich jeder innere (und damit jeder künstlerische) Bezug zu ihrem Thema fehlt? Mögen's mörderische Instinkte sein? Möchte man die Bestie Mann ergründen? Möchte man irgendwas parodieren, für das es keine Vorlage gibt? All solche Fragen bündeln sich zuletzt zu einer: Was soll's?

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

Irene Dische:
Ein Job.

(The Assasin's Last Killing,
Drehbuch von Nizamettin Ariç und Irene Dische)
Roman.
Deutsch von Mickey Gondswaard.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2000,
167 S., 29.90 DM.

Ein Job

 

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