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Wörtches Crime Watch 11/2001

Alfred Komarek und seine Polt-Romane

 

Polt muss weinen »Ohne ein Maß von Weisheit und Gerechtigkeit gibt es keine Kunst«, gab Gottfried Keller seinem Kollegen Jeremias Gotthelf zu bedenken. Diese Bemerkung steht im grösseren Zusammenhang von Kellers Überlegungen zur »Dorfgeschichte« und trifft präzise den Punkt, der die kriminalistischen Dorfgeschichten von Alfred Komarek so bemerkenswert macht. Bis jetzt hat Komarek drei Romane (»Polt muss weinen«, »Blumen für Polt«,»Himmel, Polt und Hölle«) um den Gendarmerieinspektor Simon Polt geschrieben, die im wortwörtlichen Sinn »Dorfgeschichten« sind: Sie spielen alle im österreichischen Weinviertel, direkt an der tschechischen Grenze, in Örtchen, die Brunndorf und Burgheim heissen. Dort muss sich Polt jeweils mit Todesfällen und Folgetaten herumschlagen, die alles andere als eindeutig sind: War es wirklich ein Unfall mit Gärgas (das bei Gärung von Wein entsteht), der den ekelhaften Immobilienhai umgebracht hat (im ersten Band), ist der nette Dorftrottel Willi (im zweiten Roman) von alleine den Lößabbruch hinuntergestürzt, und war der vergiftete Wein, den die Pfarrersköchin (in Nummer drei) weggesüffelt hat, auch wirklich für sie bestimmt?

So aufgezählt und reduziert muten Polts Fälle niedlich und harmlos an, als ob sie von Lady Agatha wären. Aber wo sich bei der Christie dann lediglich in den Papp-Kulissen von country side der fade Algorithmus ihrer Pseudo- Aufklärung abspult, nimmt Komarek das »Stofflich-Poetische« (nochmal Gottfried Keller) seiner Konstellation ernst: Polt ist ein Einheimischer, er kennt seine Leute und ihre Realitäten. Er weiss um die Eigengesetzlichkeiten des Provinzleben. Und die haben ihre Tiefenstruktur, also ihre Traditionen (nette und schlimme) und ihre Nöte und Chancen der Jetztzeit. Auch das Weinviertel ist von den ökonomischen und politischen Realien nicht unberührt, im Gegenteil. Arbeitslosigkeit, Armut, Spannungen in Folge der offenen Grenze zu Tschechien, der Einfluss der Städter aus Wien, die sich ihr Stück Idylle notfalls mit Gewalt, normalerweise aber einfach mit Geld erzwingen wollen - alles ist da, alles bestimmt das Handeln der Figuren. Aber auch die positiven, sympathischen Dorfstrukturen sind nicht gänzlich verschwunden.

Blumen für Polt Glücklicherweise sieht Komarek davon ab, sein Weinviertel als dumpfe Hölle engstirniger Reaktion zu zeichnen, wie dies etwa in den 50er Jahren zum Beispiel Jim Thompson mit den amerikanischen Provinzen (und mit allem historischen Recht) getan hatte. Erstens ist diese Möglichkeit (siehe nicht nur Thompson, siehe auch Manchette oder Magnan in Frankreich) hinlänglich durchexerziert und zweitens würde Komareks Konzept sie nicht zulassen: Denn die Figur Polt in ihrer Doppelfunktion als Gesetzeshüter und als Teil der Dorfgemeinschaft ist eben nicht als Aussenseiter angelegt, sondern sitzt mitten drin in dem spannenden Dilemma aller sinnvollen Kriminalliteratur: Zwischen Recht, Gerechtigkeit und - weil es hier um Literatur geht - poetischer Gerechtigkeit. Deswegen begeht Polt kleine, aber effektive Rechtsbeugungen im formalen Sinn, um wenigstens einen Schein von Gerechtigkeit herzustellen. Er tut dies mit der oben von Keller geforderten Weisheit, also sehr pragmatisch und handfest (und wenn es sein muss, auch mit miesen Tricks und anderen rechtsstaatlich bedenklichen Methoden) und wenig sophisticated. Das wiederum macht ihn extrem menschlich, darauf gründet seine Integration ins Dorfleben und deswegen funktioniert die Figur.

Himmel, Polt und Hölle All das aber wäre graue Theorie, hätte Komarek nicht eine Erzählsprache entwickelt, die das Stoffliche poetisch machen kann. Obwohl die Romane schmal sind (maximal 204 Seiten) und obwohl in ihnen viel passiert, erzählt Komarek schon beinahe episch. Und das ist auf so engem Platz eine hohe Kunst. Seine Prosa ist dem Rhythmus der Landschaft und dem Tempo des Lebens angepasst. Sie lässt die Natur (und manchmal auch ihre Zerstörung) sichtbar werden. Wir riechen die Aromen der »Presshäuser«, (so heissen dort die Weinkeller) und schmecken die Weine und die deftigen Speisen. Aber wir fühlen auch den horror vacui und die Beklemmungen eines nebligen Herbstabends auf dem Lande. Alles zusammen macht die Polt-Romane extrem spannend.

 

© Thomas Wörtche, 2001

 

Alfred Komarek: Polt muss weinen. Roman. Zürich: Diogenes, 2000 (1. Aufl. - Insbruck: Haymon, 1998), 183 S., 15.90 DM, 8.90 Euro (D)
Alfred Komarek: Blumen für Polt. Roman. Zürich: Diogenes, 2001 (1. Aufl. - Innsbruck: Haymon, 2000), 208 S., 16.90 DM, 8.90 Euro (D)
Alfred Komarek: Himmel, Polt und Hölle. Roman. Innsbruck: Haymon, 2001, Hardcover mit Schutzumschlag, 204 S., 34.00 DM, 17.90 Euro (D)

 

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