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Wörtches Crime Watch 11/1997

Robert Crais: Falsches Spiel in L.A.

 

Falsches Spiel in L.A. Die 90er Jahre scheinen keine guten Zeiten für Privatdetektivromane zu sein. Gerade in den USA. Zwar dümpeln noch ein paar bekannte Heroen wie Robert B. Parkers Spenser durch nicht mehr sehr aufregende Bücher und ein paar neue weibliche PIs wie Janet Evanovichs talentlose Kopfgeldjägerin Stephanie Plum fangen an, sich zu profilieren. Der Rest sind Überhänge aus den 80ern oder gar den 70ern, von denen kaum innovative Impulse ausgehen. Verglichen mit den 80ern und ihrem Boom an faszinierenden Einzelgängern (James Crumley, Robert Campbell, Sara Paretsky, J.W. Rider, Reed Stephens, Sue Grafton, Stephen Greenleaf, Marcia Muller etc.) allerlei Geschlechts, sind die bedeutenden Kriminalromane der 90er fast überall multiperspektivische Cop-Novels oder aus allen Kategorisierungen herausfallende Bücher (ich muß es nicht sagen: Ausnahmen bestätigen die Regel). Man darf ruhig vermuten, daß die zunehmende Komplexion der Welt eine plausible Perspektive durch die Augen eines einzigen Individuums als nicht mehr sehr plausibel erscheinen läßt. Man darf zudem vermuten, daß sich das Pathos des einsamen Wolfs auf regennaßen Straßen, mag er psychisch noch so beschädigt, ambivalent und zerschreddert sein, angesichts der Ubiquität und Normalität des "Verbrechens" in allen gesellschaftlichen Bereichen verbraucht hat. Die gesellschaftshermeneutischen Tieftaucher der 80er haben keine dunklen Zonen mehr unbeleuchtet gelassen.

Umso erstaunlicher, daß ein Autor, der wie kaum ein anderer im letzten Jahrzehnt wurzelt, ein aktuelles Buch als klassischen Privatdetektivroman anlegt: Robert Crais, Erfinder des literarischen PI-Duos Elvis Cole & Joe Pike, und an allen ikonographischen Projekten der Eighties beteiligt - an "Miami Vice" und an "Hill Street Blues" zum Beispiel. Herübergerettet in die 90er hat Crais die produktive Energie, sich aufzuregen. "Falsches Spiel in L.A." ist folgerichtig ein moralischer Roman, was ganz direkt mit seinen Kontexten zu tun hat. Ohne ihn auch nur mit einem Wort zu erwähnen, prügelt Crais auf die Folgen ein, die der O.J. Simpson-Fall für die Rechtsprechung in den US of A vermutlich hat und haben wird.

Was vor zehn oder fünfzehn Jahren noch das Ergebnis oder der Clou eines Romans gewesen wäre, ist heute zur Prämisse geworden. Natürlich ist das LAPD völlig korrupt, verlottert, gewaltgeil und inkompetent, aber was, wenn es dort dennoch (im Rahmen der allgemeinen Möglichkeiten) anständige Polizisten gibt, die versuchen, ihren Job gut zu machen? Natürlich haben die "liberals" recht, gegen die Perversion und Hinrichtungsgeilheit einer durchgeknallten law & order- und zero tolerance-Ideologie Sturm zu laufen, aber was, wenn sich daraus sehr schöne, weite neue Felder für dito ideologische mißbräuchliche Denkmuster auftun?

Mit all dem wird Cole konfrontiert, als ihn ein Staranwalt, der bisher immer auf der "richtigen" Seite der Mühseligen und Beladenen war, engagiert, um einen Klienten zu entlasten. Am besten dadurch, daß Cole die ermittelnde Polizistin in Pfanne haut. Aber der PI muß kapieren, daß die Welt nicht nur auf die Art böse ist, die wir inzwischen zu kennen glauben (auch weil wir so viele Kriminalromane gelesen haben), sondern daß sie mit ganz aparten neuen Sortierungen aufzuwarten hat. Und die sind auch nicht schön.

Cole und Pike machen sich also auf den Weg, um ein paar schnuckelige Rechtsbeugungen vorzunehmen. Nicht um "die Gerechtigkeit" durchzusetzen, aber um wenigstens eine Verhandlungsbasis mit den wirklichen, weil geldgestützten Rechtsbeugern zu schaffen. Und wenn die sich noch so "liberal" geben. So macht auch die monoperspektivische Erzählhaltung wieder Sinn: Als selbst-kritische Perspektive des Irrtums, als Revision eines eingeübten Weltbildes, als Protokoll des Scheiterns am eigenen Mythos. Kein Wunder, daß Elvis Cole möglicherweise in eine familiäre Bindung rutschen wird; nicht als Tribut an family values, sondern als antagonistisches Pendant zum Lebenskonzept des Einzelgängers und zur daraus resultierenden Limitation des Blickfeldes.

"Falsches Spiel in L.A." ist ein unbequemes Buch, weil es die Konsense von einst in ein Bündel Dissonanzen auflöst, die keine neuen Konsense zulassen.

 

© Thomas Wörtche, 1997

 

Robert Crais:
Falsches Spiel in L.A.

(Sunset Express, 1996).
Roman. Dt. von Jürgen Bürger.
Reinbek: rororo thriller 43299; 1997.
333 Seiten, DM 14,90

 

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