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Wörtches Crime Watch 11/1998

Hannes Binder: Glausers Fieber

 

Aus ganz verwickelten Umständen entsteht manchmal ganz einfach beeindruckende Kunst. Ein solcher Fall ist "Glausers Fieber", ein Bilderbuch des Schweizer Grafikers Hannes Binder.

Es ist nicht Binders erste Arbeit zu Texten von Friedrich Glauser. Mit "Der Chinese", "Krock & Co." oder "Knarrende Schuhe" hat er immer wieder versucht, Glausersche Textwelten in kongeniale Bildwelten zu transformieren. Mit Erfolg. Man kann sogar sagen, daß es Binder gelungen ist, Glausers knorrige Charaktere, seine Milieus und Atmosphären zu ikonographieren, wie Humphrey Bogarts Spiel in "The Big Sleep" den Privatdetektiv Philip Marlowe ikonographiert hat. Anhand von Glausers Roman "Die Fieberkurve" jedoch funktioniert für Binder eine solche Art von Transformation nicht mehr. "Glausers Fieber" hat in Binders Werk einen ähnlichen Ausnahmestatus wie der Roman in dem von Glauser.

"Die Fieberkurve" war das letzte Buch, das noch zu Glausers Lebzeiten (1938) erschienen ist: Ein Roman mit Wachtmeister Studer, aber kein typischer Studer-Roman; ein Kriminalroman, aber kein "Krimi" nach orthodoxen Vorstellungen; ein Roman, der Lebensthemen von Glauser verarbeitet (Fremdenlegion, Irrationalismen aller Art, Borderline-Phänomene, Rauschmittel), aber kein "autobiographischer Roman"; ein oft komischer, aber kein lustiger Roman; ein Roman über Imaginationen, aber doch ein handfest mit Realien (Erdöl und den diversen Geschäfte und Interessen, die mit diesem Saft zusammenhängen) umgehender Roman.

Schließlich war "Die Fieberkurve" noch mit konzeptionellen Schwierigkeiten behaftet, die u.a. mit Glausers prekären psychischen Zuständen zusammenhingen. Innerhalb eines ohnehin sperrigen Gesamtwerkes ist "Die Fieberkurve" sicherlich der sperrigste Text Glausers, der zudem noch durch intertextuellen Fäden mit seinem Legionärsroman "Gourrama" und der Erzählung "Der Hellseherkorporal" verwoben ist.

Und noch mehr Kontexte hängen an der "Fieberkurve": Mit seinen Studer-Romanen versuchte Glauser einen "dritten Weg" zwischen der prätentiösen, in seinen Worten: "Himbeersyrupersatz"-Prosa, der "seriösen" Schweizer Literatur der 30er Jahre und den allzu schematisierten Konfektionskrimis jener Zeit. Seine Verehrung für Georges Simenon konnte sich allerdings wegen dessen rasendem Textausstoß nicht in einem Parallelkonzept niederschlagen: Glausers langsame und widerborstige Schreibweise erforderte ein anderes Konzept, und selbst das geriet in Gefahr, selbst Formel zu werden. Diese Gefahr gedachte Glauser mit der "Fieberkurve" und Studers geheimnisvoller Reise nach Marokko zu bannen. Studer betreibt am Ende das rationale Geschäft der Aufklärung beim Kif-Rauchen und fühlt sich wohl dabei. Glausers "Fieberkurve" erzeugt, wie man sieht, auch beim Leser schweres Kontext-Fieber.

So ist es kein Wunder, daß Hannes Binder zu dem Schluß gekommen ist, daß es sich in diesem Fall verbietet, bei der Umsetzung des Romans in einen "Comic" einer "linearen Handlung grundsätzlich zu folgen". Deswegen verwebt er Handlungsmomente des Romans mit Bildern und Texten aus der Entstehungsgeschichte des Romans. Und mit biographischen Stationen Glausers. Und mit Bildern, die Verweise auch auf Simenon sind. Und mit anderen Bildern, die Texte wie "Gourrama" direkt mit der "Fieberkurve" zusammenbringen. So entsteht ein detailrealistisches Panoptikum über die chaotische Einheit von Leben und Werk Glausers, das ständig in surrealen Imaginationen endet.

Glausers Rolle in der Geschichte der europäischen Kriminalliteratur war es, schon zu einem frühen Zeitpunkt den Korsettagen des Formel-"Krimis" zu entkommen und das Genre literarisch zu erweitern, aber nicht zu verlassen. Mit abenteuerlichen und bis dahin singulären literarischen Mitteln.

Genau dies erkannt und in Bilder umgesetzt zu haben, macht Binders Hommage so gelungen. Eine Hommage, die des Geehrten wirklich würdig ist -. im Gegensatz zu einem "Krimi"-Preis, der seinen Namen trägt, den die Verantwortlichen sich aber nicht schämten, sogar einem a-literaten Law-and-Order-Phantasten wie Herbert Reinecker zu verleihen. Bei Hannes Binder ist Glauser in der richtigen Gesellschaft.

 

© Thomas Wörtche, 1998

 

Hannes Binder:
Glausers Fieber.

Zürich: Limmat Verlag, 1998.
60 Seiten, DM 24.-

 

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