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Leichenberg 06/2004

 

Die schwarze Muse Armer E.T.A.Hoffmann! Erst stand er unter dem Verdacht, mit seiner klassischen Künstlernovelle »Das Fräulein von Scuderi« den Deutschgrimmi mitbegründet zu haben, was literaturhistorisch der reine Unfug ist. Dann musste er vor Jahren für Henning Boëtius' schauderhaften Hoffmann-Grimmi »Undines Tod« herhalten. Und jetzt kommt es ganz Dicke für den neben Goethe interessantesten deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. In einem unglaublich schlechten Bändchen namens Die schwarze Muse mit dem bedrohlichen Untertitel Ein Fall für E.T.A. Hoffmann macht Dieter Hirschberg (Berlin.Krimi.Verlag) aus dem Universalgenie einen preussisch-patriotisch ermittelnden Richter, der hinter frankophilen Revolutionsadepten her ist. Ganz im Geschmack des heutigen Dumpfgrimmis, zusammengerührt aus Motivstücken von Hoffmanns Erzählungen (»Der Sandmann«, »Die Automate«, »Die Bergwerke von Falun« etc.) ohne Sinn und Verstand oder auch nur den Hauch von historischem Bewusstsein. Ein schauerliches Ragout aus dümmlicher action, blödem Plot, Okkultismus, frommen Pfaffen und schnarrenden Preussen, vorgetragen in einer Wir-wollen-den-Leser-ja-nicht-überfordern-Sprache. Das Perfideste daran ist, dass der Autor am Schluss auch noch insiniuert, Hoffmann habe diesen Klumpatsch selbst geschrieben. Schlimmer geht's nimmer.

Ein allzu schönes Mädchen Ästhetisch weist auch Jan Seghers' (d.i. Matthias Altenburg) Roman Ein allzu schönes Mädchen (Wunderlich) ins 19. Jahrhundert. Seghers versucht, die Sprache des poetischen Realismus dieser Zeit für eine Kriminalgeschichte von heute zu funktionalisieren, in der Hoffnung, das dort implizierte Realismus-Verständnis trage auch neue Realitäten. An deren Schilderung aber scheitert er und rettet sich mit einer Alles-wird-gut-Ideologie am Ende des Buches. Das geht schief, aber immerhin hat Seghers mit der Figur Robert Marthaler, mit seiner Geschichte und mit seiner Fähigkeit, ein Figurenemsemble zu dirigieren, einen lesbaren Fehlversuch vorgelegt.

Thematisch ins 19. Jahrhundert führt uns Patrick Boman mit seinem, milde gesagt, bizarren Helden Josaphat Peabody. Der ist britischer Polizist im kolonialen Indien, genauer an der Malabarküste. Josaphat Peabody geht fischen (Zebu Verlag) heisst sein erster Auftritt und der etabliert einen fetten, schwitzenden, durch und durch miesen und fiesen Helden, der gar nicht erst versucht, kein Kind seiner Zeit zu sein. Boman schreibt pointiert unliebenswürdig, eckig und schrundig, abgefeimt gar - und siehe, es funktioniert. Und zwar bestens.

Liebe stirbt zuerst Allerbestens sind natürlich die Romane von Edmund Crispin (1921-1978) - gespickt mit Exzentrikern, bizarren Verbrechen, intelligenten Dialogen (Achtung - ein klein wenig Bildung schadet da nichts, echt, ehrlich, eyy!) und liebevoll gepinselten Settings. Liebe stirbt zuerst (DuMonts Kriminal-Bibliothek) heisst im Original Love lies bleeding, unterhält bestens bis zur Auflösung, die jedoch - der alte Pferdefuss des Whodunnits - viel zu viel erklären muss, um noch spannend zu sein. Aber Spannung ist nun bei diesem Typ von Klassikern sowieso kein ernsthaftes Kriterium. Crispin lebt vom Surplus der o.a. Ingredienzen und das ist auch völlig okay so.

Bleibt noch ein kleines, wunderbares Kriminalmärchen aus Russland: Nummer 5 hat keine Chance von Polina Daschkowa (Europa). Schon allein, dass wir alles über ein gutes Schaschklik lernen, ist lobenswert (vermutlich war der Text für die mittlerweile verschwundene Crime & Gourmet-Reihe des Hauses geschrieben), noch lobenswerter ist, dass eine herzzerreissend nette kleine Lehrerin aus Kamtschatka einer Moskauer Mafia-Gruppe den Garaus macht. Am lobenswertesten aber ist, dass Daschkowa daraus ganz bewusst ein Märchen macht.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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