legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 07/2011

 

Last Exit

Geheimdienste sind per definitionem undurchsichtige Gebilde. Nach dem Ende des Kalten Krieges und zu Zeiten der immer mehr fraktalisierten Welt, zu Zeiten, in der innerhalb großer Strukturen wie den Geheimdiensten nur noch Partialinteressen verfolgt werden und in der globalisierten Welt so ziemlich alles mit allem zusammenhängen kann, in diesen Zeiten wird Geheimdienstarbeit zum tödlichen Labyrinth, in dem nicht ein roter, sondern viele blutrote Fäden den Ausgang in die nächste Ungewissheit weisen. Das muss auch Milo Weaver lernen, der Hauptfigur von Olen Steinhauers Roman Last Exit (Heyne). Weaver ist "Tourist" (wir haben ihn in dem gleichnamigen Roman letztes Jahr schon einmal kennengelernt), eine Art Troubleshooter mit meist finalem Auftrag, der für eine ultrageheime Abteilung der CIA arbeitet. Touristen exekutieren weltweit, was man ihnen befiehlt, zu exekutieren. Touristen sind aber auch Menschen. Und deswegen sabotiert Weaver seinen Auftrag, ein 15jähriges Mädchen zu ermorden. Damit beginnt der Ärger. Steinhauer inszeniert eine fahle Welt, gewalttätig und paranoid, bevölkert von ausgebrannten Wracks (wie Milo Weaver selbst, eine der fertigsten Figuren des Genres) und abgehalfterten, von jedem Glauben längst abgefallenen Profis wie die BND-Frau Erika Schwartz (grandiose Figur, auch sie). Es geht bei Steinhauer ums Überleben und um Gerechtigkeit jenseits irgendwelcher Legalitätsbegriffe. Großer Roman!

Blutschnee

Ein völlig unterschätzter großer Autor ist C.J. Box. Das liegt bei uns (in USA hat er so ziemlich alle einschlägigen Preise abgeräumt) an der nicht sehr selbstbewussten Präsentation bei Heyne, aber auch ein bisschen an Thema und Setting seiner Romane, zumindest was die Joe-Pickett-Serie angeht. Die spielt in den Bergen von Wyoming und Pickett ist ein eher biederer Wildhüter, kein Held, noch nicht einmal ein Anti-Held, sondern ein eher ganz durchschnittlicher, anständiger Mensch. In Blutschnee erzählt Box eine Geschichte, die von der Story Steinhauers gar nicht so weit weg ist. Auch bei Box geht es um amoklaufende Behörden, innerhalb derer demokratische Kontrolle nicht mehr stattfindet, und deswegen Einzelinteressen das Schicksal unbeteiligter Menschen notfalls bis zum Tode beeinflussen. In »Blutschnee« schließen sich FBI und US-Forstbehörde zusammen, um aus persönlichem Ehrgeiz, schierem Wahnsinn und aus Frustrationen beinahe einen kleinen Bürgerkrieg gegen einen Treck vagabundierender Outlaws (die auch nicht gerade eine Herde von Gutmenschen sind, au contraire) zu beginnen. Joe Pickett und seine Familie geraten zwischen die Fronten. Das ist derart cool down-the-ground erzählt, dass man beinahe übersieht, wie brisant diese Zustandsbeschreibung einer korrodierenden Gesellschaft ist.

Der Moloch

Leider vor zwei Jahren als Hardcover (»Im Schlund des Drachen«) durchgerutscht, aber jetzt als Taschenbuch mit neuem Titel Colin Harrison, Der Moloch (Knaur). Im Grunde ein Skandal, auch mea culpa, dieses Buch nicht als eines der allerstärksten New-York-Bücher der letzten Jahrzehnte entdeckt zu haben. Ein irrer, brillanter Roman über oben und unten. Über Büroreinigungskräfte, die aus den Glas- und Stahlpalästen der Investement-Gesellschaften Informationsabfall stehlen und damit neue Vermögen in Shanghai zu gründen ermöglichen. Ein Roman über Mogule und Tagelöhner, über die Dialektik von reich und arm; eine grandios-eklige Studie über den Zusammenhang von Scheiße und Geld, mit freundlichen Grüßen Vespasian & Co, ein sehr gewalttätiges Porträt des Räderwerks, das Megaprofite möglich macht, und auch noch eine perfekt geplottete Liebesgeschichte und vieles mehr. Das hat ganz große Klasse, Colin Harrison hat sich seit »Havanna Room« schwer gesteigert und sein Talent nachdrücklich unterstrichen!

Manhattan Karma

Ebenfalls ein New-York-Roman kommt von Walter Mosley: Manhattan Karma (Suhrkamp). Ein neuer Privatdetektiv, Leonid McGill, ist unterwegs - Sohn eines Kommunisten, schwarz, ein typischer Stadtneurotiker mit arg schräger Patchworkfamilie und schlimmer Vergangenheit. Und gleichzeitig ein wandelnde literarische Zitatcollage aus allen ehrlichen, aufrechten, um ihre Integrität und ihren Stolz kämpfenden Privatdetektiven seit Philip Marlowe. Fast zu viel Zitat, fast zu viel Haltung, ziemlich neo-klassizistisch, aber eben auch mit dem typischen Mosley'schen Kern: Wie kann man gut und richtig handeln, in einer Welt, die genau das nicht belohnt? McGill, der Ex-Detektiv der Unterwelt, versucht, ein anständiger Mensch zu werden, mitten in Manhattan. Vielversprechender Serien-Auftakt, bei man allerdings noch sehen muss, wie sich die ganze Chose entwickeln wird.

Wer eine richtig bösartig-straighte Gangstergeschichte mit viel Action, scharfen Frauen und harten Kerlen mag, auch noch mit einem leichten SF-Effekt und viel rottiger Postdoomsday-Atmosphäre, ist mit The Last Days of American Crime von Rick Remender und Greg Tocchini (Splitter) bestens bedient. Ein wuchtiger, dynamischer Comic, weniger subtil, sondern eher mit sehr kräftigen Tönen in die Welt geknallt. So gut kann Genre sui generis sein, da muss man nicht auf die E-Abteilung schielen. Fällt natürlich bei jedem Ideologie-Test durch. Gut so!

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

« Leichenberg 06/2011       Index       Leichenberg 08/2011 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen