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Leichenberg 11/2001

 

Historische Kriminalromane resp. historische Thriller, sog. period pieces, gibt es für fast jede Epoche der Geschichte. Für jeden Geschmack und in wahrlich jeder Qualität. Vor allem aber in schauderhafter. Pseudoviktorianische Grimmis, schlampig recherchiertes 18. Jahrhundert und dergleichen, en masse und gern genommen. Aber es gibt in diesem Subgenre auch grandiose Literatur - nämlich die als Seeabenteuer verkleideten Romane von Patrick O'Brian. Sie bilden einen Zyklus von 25 Bänden, die hierzulande in bunter Reihenfolge, aber immerhin peu à peu veröffentlicht werden: Insel der Vulkane (Ullstein) heisst der neueste Band und soll Anlass sein für folgenden Hinweis: Es gibt in der Literatur des 20. Jahrhunderts neben Le Carrés George Smiley nur eine Serienfigur des Spionageromans, die literarisch ebenso brillant inszeniert und komplex gebaut ist, nämlich Dr. Stephen Maturin, den heimlichen Helden von O'Brian. Maturin ist scheinbar nur der Sidekick von Jack Aubrey, Captain der Royal Navy während der Koalitionskriege gegen Napoleon, aber er ist die Figur, die den Zyklus als Spionageromane von höchstem Niveau definiert. Unter der offiziellen Geschichte lauert die Geschichte der verdeckten Operationen, und die hat O'Brian so kunstvoll eingewoben, so gespickt mit wirklich genauen Kontextrecherchen, literarisch so raffiniert erzählt, dass es ein Skandal wäre, dieses Lebenswerk als Abenteuerschoten verdümpeln zu lassen.

Und weil wir von literarischem Niveau reden, das nicht lauthals als solches vom Klappentext dröhnt: Gerade ist Himmel, Polt und Hölle von Alfred Komarek (Haymon) erschienen - die kriminalliterarische Variation der Dorfgeschichte und der dritte Roman mit dem Gendarmerieinspektor Simon Polt aus dem österreichen Grenzgebiet zu Tschechien. Präzise, schlanke, durchkomponierte Prosa von Rang, die wieder mal nahelegt, dass der Unterschied zwischen Literatur und Kriminalliteratur nur noch im Erzählsujet liegt.

Das gilt auch für Thomas Hettche und Der Fall Arbogast (DuMont). Der Untertitel heisst »Kriminalroman«, und das ist der einzige Lapsus eines gelungenen Buchs. Denn was Hettche mit konzentrierter, uneitler Prosa detailgenau aufschreibt, ist formal eher ein Justizroman, aber recht eigentlich ein Sittenbild der BRD in den 50er und 60er Jahren. Kein Metaroman, keine Selbstreflexionsschleife, sondern eine seriöse Erkundung eines Stücks vergangener Realität.

Um Realitäten, um schlimme, ging es auch Jean-Bernard Pouy in seinem 1986 entstandenen Roman Engelfänger (Distel). Er versuchte, eben diese darzustellen in dem karnevalsken Stil, mit dem der néo-polar zu dieser Zeit experimentierte. Das ging leider arg schief, denn die Geschichte um die verschleppten und geschändeten Kinder lässt sich mit fahlen Witzchen kaum erzählen. Mit bösem Witz hätte man es hinkriegen können, aber der wird von Pouy leider verdödelt.

Nicht mit Witz, dafür aber mit tiefster Melancholie resp. melancholisch exaltiertem Pathos schickt Ramón Díaz Eterovic seinen Detektiv Heredia durch Santiago de Chile: Kater und Katzenjammer (Diogenes). Philip Marlowe ist ein Lachsack verglichen mit Heredia, aber durch die Exaltation bekommt der chilenische Kollege die artifizielle Qualität, die seinen donquichottesken Kampf gegen industrielle Schweinebacken als Literatur mit utopischem Element plausibel und tragfähig macht.

Der Simenon des Monats: Sonntag (Diogenes) - ein schubladenresistentes Meisterwerk zwischen Gastronomie, Giftmord und Leidenschaft.

 

© Thomas Wörtche, 2001

 

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