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Leichenberg 11/2009

 

Spür die Angst

Eine neue Offenbarung kommt aus Schweden. Ein schwedischer Kriminalroman, der nicht wie ein schwedischer Kriminalroman funktioniert, sondern ein echt harter, tougher Thriller ist. Schnell, mit ungewöhnlichen sprachlichen Mitteln erzählend, robust und ausgekocht. Ellroy mindestens - oder so. Ähnliche Elogen kann man allerorten über den Erstling von Jens Lapidus lesen: Spür die Angst (Scherz), mit dem putzigen Zusatz: Stockholm Crime. Dort spielt nämlich der Thriller über einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen, der unbedingt seinen Weg in der jeunesse dorée von Stockholm machen will, auch wenn es dazu einer veritablen éducation criminelle bedarf. Zudem sucht er seine in just diesem Milieu verschwundene Schwester, mit der es, wir ahnen es von Anfang an, vermutlich kein gutes Ende genommen hat. Das ist alles ganz wacker, robust und total komikfrei erzählt - weil es ja ein grimmiger, total echt abgefahrener Roman sein soll. Deswegen greift Lapidus auch zu Anakoluth und zum Punkt, statt zum Komma. Stakkato soll Tempo, Hektik, Lakonie, Coolness bedeuten, wirkt aber nur unfreiwillig komisch, wenn es als Stilmittel auch in stillen, reflektierenden Szenen eingesetzt wird. Wie überhaupt der ganze Roman etwas bebend Ambitionöses und Übereifriges hat. Für einen Schweden mag sowas toll sein, aber das ist nicht wirklich ein Kompliment.

Ähnlich enttäuschend auch das neue Buch von Fred Vargas: Der verbotene Ort (Aufbau). Nach Werwolf und Pest jetzt eben so was von voll im Modetrend: Vampire. Mit einem Ausflug von Adamsberg auf den Balkan. Der Plot ist katastrophal wirr und wäre, hätte er wirklich komische Momente, eine schöne Parodie auf einen Plot. Immerhin, Fred Vargas perfektioniert die Kunst, kleine gelungene (aber nicht unbedingt sinnhaft verknüpfte) Miniaturen aneinanderzureihen und das ganze als Kriminalliteratur zu verkaufen. Ist schon okay, aber langweilig, weil die Masche nervt.

Der Brenner und der liebe Gott

Extrem gemascht ist auch die von der ergebenen Gemeinde lange erwartete Rückkehr von Simon Brenner: Der Brenner und der liebe Gott (Hoffmann & Campe) heißt also Wolf Haas' neues Buch, das mittels einer Tafel Schokolade ein ganzes Set von betrüblichen und beklagenswerten Ereignissen in Gang setzt, aber kaum mehr bietet als die üblichen Ludwig-Thoma-goes-crime-Manierismen des Erzählers. Naja, ein bisschen Grundstücksspekulation und andere Verbrechenshäppchen spielen auch am Rande mit. Manchmal gibt's auch ein paar gelungene Sprüche, was sicher für die Gemeinde als Qualitätsnachweis reicht.

Ganz schlicht und simpel tickt hingegen der Versuch von Harri Nykänen, einen jüdischen Ermittler in Helsinki zu etablieren: Ariel. Mord vor Jom Kippur (Grafit). Ein Leichenanfall wie dunnemals in Beirut, Judaica zum ins Merkheft schreiben, und ein paar superblöde Gangster, die den Mossad auf sich aufmerksam machen wollen, weil sie ausgerechnet diesen Geheimdienst als Trottel zur Finanzierung eines big deals melken wollen. Das ist - sorry to say - total bescheuert. Und so doof wie das ganze Buch.

Totsein verjährt nicht

Kein bisschen doof ist die Rückkehr von Polonius Fischer Das dritte Buch mit dem Mordermittler, der einst Mönch war: Totsein verjährt nicht (Zsolnay) ist ein Friedrich-Ani-Roman mit all dessen Stärken. Proppenvoll mit Geschichten, die mit absolut genauem Blick für die unschicken Milieus erzählt sind; mit dem Risiko zur Emotion (nicht zur Sentimentalität), mit brillant konturierten Figuren. Ein ausgefuchster Kriminalroman ohne hysterischen Plot; eine ganz normale Tragödie im ganz normalen Irrsinn. So macht Kriminalliteratur Freude.

Auch Charlie Huston hat mit Das Clean Team (Heyne) einen sehr komplexen, vielschichtigen und keineswegs "durchgeknallten Reißer" geliefert, wie man Stephen King auf dem Cover krähen lässt. Klar ist das Setting für ein paar nette makabre Details aus den unschönen Bezirken des sonst eher Ausgeblendeten sehr komisch - das Clean Team putzt das weg, was übrig bleibt, wenn Leichen anfallen: Blut, Hirn, Gekröse und anderen Dingen. Aber die eigentliche Geschichte von reichen, armen Kindern, ihren versauten Familien und schrägen Eltern, ihren Kampf um Selbsterschaffung und ums psychische Überleben, das ist bestens gelungen. Und das Buch wartet nebenbei mit ein paar irren Schurken der "Fargo"-Klasse auf.

Die kluge Theorie zu all den bösen Dingen aber liefert einmal mehr der Soziologe und Philosoph Wolfgang Sofsky: Das Buch der Laster. (C.H. Beck). Alles, was Sie schon immer über homo sapiens lieber nicht wissen wollten!

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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