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Leichenberg 10/2009

 

Way Out

Warum ein Roman, der auf Englisch »The Hard Way« heisst, den deutschen Titel »Way Out« haben soll, ist nicht ganz einsichtig. Titelschutz, Marketing, was auch immer, putzig ist es auf jeden Fall. Wobei das Buch keines Falls putzig ist, sondern große Klasse. Way Out (Blanvalet) ist der zehnte Jack-Reacher Roman von Lee Child und auf den ersten Blick nicht ganz typisch. Denn bevor Action dominant wird, vergehen ein paar hundert Seiten. Ist Jack Reacher, der postmoderne, ironische Brutalo für aufgeklärte, also abgeklärte Geister, friedlich geworden? Immerhin ist Reacher keine statische Figur, sondern entwickelt sich von Buch zu Buch, natürlich wie alles bei Lee Child, mit minimalistischen Mitteln. Deutlich hier auch, wie politisch der in New York und Südfrankreich lebende Brite Child ist - der Plot des Romans, der in New York City anfängt und in der englischen countryside endet, wurzelt in Afrika und im Treiben privater Militärfirmen, die zu Nutz und Frommen von Großmachts- und Wirtschaftsinteressen in rechtsfreien Räumen wüten. So präzise wie Reachers Attacken auf unsere Vorstellungen von Recht und Ordnung sind auch Childs salzsäureklaren Statements zum Lauf der Welt. Exzellent!

Ganz exzellent auch eine bei uns neue Autorin aus Südafrika: Malla Nunn. Ein schöner Ort zum Sterben (Rütten & Loening). Ein historischer Roman, der 1952 im Osten Südafrikas, an der Grenze zu Mozambique spielt. Gerade ist die National Party an die Macht gekommen, der Apartheids-Staat wird von Tag zu Tag terroristischer, Heuchelei und fromm-wahnsinniges Überlegenheitsdenken macht das Leben aller Menschen zur Hölle. Afrikaander und Engländer stehen sich misstrauisch gegenüber, der blank faschistoide Geheimdienst, Security Branch, versucht, auch die Polizei zu dominieren. In diese Konstellation hinein baut Malla Nunn eine böse Geschichte von Männern und Frauen, von Rassismus und Sexismus und religiösem Wahn und Freundschaft und gar Liebe. Das macht sie spröde, ohne Identifikationsangebote (deswegen erinnert der Roman manchmal an den großen James McClure), dennoch mit Empathie. Und mit Verzweiflung. Ein klassischer Whodunit, der ähnlich wie bei dem südafrikanischen Kollegen Andrew Brown, keinesfalls das Genre "bedient", wie man so gerne sagt. Die Story erfordert das Genre. Grandios.

Verbrechen

Und um hin und wieder die Relationen zurechtzurücken: Der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat anlässlich seines Story-Bändchens Verbrechen (Piper) fröhlich Kriminalautoren bezichtigt, keine Ahnung von dem zu haben, was sie beschreiben. Schirachs eigene Geschichten sind zwar nette, lakonische Plaudereien aus der Welt der causes célèbres, ein wenig eitel aufgemotzt und natürlich fiktionalisiert, aber ohne den Risikofaktor, der aus Texten literarische Texte macht. Zum Wegschnabulieren nach dem Motto "wat-et-allet-jibt" sind die Teilchen okay. Um Schriftstellerkolleginnen anzumachen... naja, Gerede halt.

Erfreulich gespenstisch Tom Piccirilli: Schmerz (Heyne). Ein halluzinatorisches Buch über einen Mann, der schon tot ist oder noch nicht tot ist und der vielleicht zweimal stirbt, irgendwo zwischen der grimmigen Realität des vereisten New York City und einer dito grimmigen Zwischenwelt, in der man Dialoge mit toten Hunden führt. Das hat oft Charyn'sche Qualitäten, sogar das Thema Gewalt-gegen-Kinder hat hier keinen faden Geschmack. Und die Wahnsinnigen kommen nicht aus der Geisterbahn.

Way Out

Unter einem zu geisterbahnhaften Dreh leidet betrüblicherweise der zweite Teil des Romans Fieber (Bastei) von Bentley Little, der schon einmal wegen der sarkastischen Beschreibung von middle-class- Höllen positiv aufgefallen war. So auch hier: Eine gigantische Versicherungsfirma keilt Kunden mit allen Mitteln. Wer sich z.B. nicht gegen "ungerechtfertigte Verurteilungen" versichern mag, sitzt bald im Knast. Wer versichert ist, hat kein Problem, weil etwa in einer Nacht 150 Zeugen auf einmal sterben... Brillante Idee, am Ende leider zu viel Schwefel.

Das Schaustück des Monats: Léo Malets Schwarze Trilogie als prächtiger Comic, von Youssef Daoudi gezeichnet nach einem Szenario von Phillipe Bonifay (Ehapa Comic Collection). Dass auch andere Comic-Macher als der große Jacques Tardi Stoffe von Léo Malet in prächtige, stimmungsvolle Bilder plus intelligenter Handlung umsetzen können, soll man nicht als Sakrileg verstehen, sondern höchstens als Hommage. Daoudi konturiert schärfer, Bonifay erzählt straffer als Tardi. Beides funktioniert ebenfalls bestens.

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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