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Leichenberg 12/2008

 

Blutiger Schnee

Kluge Bücher sind erfreulich. Ein kluger Kriminalroman z.B. ist Blutiger Schnee (Goldmann), der Erstling des Engländers Mike Walters. Schauplatz: Ulan Bator, die Hauptstadt der Mongolei. Eine knappe Passage spielt auch in der Wüste Gobi, aber nur beiläufig. Hintergrund sind die Begehrlichkeiten verschiedener Staaten und verschiedener Organisationen mit unterschiedlichem Kriminalitätslevel an den Bodenschätzen des Landes. Klug ist der Roman, weil Walters weder den Schauplatz Mongolei mit folkloristischem Gedöns zukleistert - de facto handelt es sich um einen Stadt-Roman, der Ulan Bator ziemlich postdoomsday-haft aussehen lässt; noch überfrachtet er den realen wirtschaftspolitischen Background mit Didaxe oder Empörung. Nergui, die Hauptfigur, ist ein hoher mongolischer Beamter an der Schnittstelle von Polizei und Geheimdienst. Ein Analytiker nicht nur der Problemlage, sondern auch der Ambivalenz des eigenen Tuns. Besonders beeindruckend die unaufgeregte Haltung, mit der Walters von Beschreibung bis Spannung alle Tempi und Dynamiken der Erzählung beherrscht. Ein feines Buch.

Ein feiner Autor ist Ridley Pearson. Normalerweise. Der blinde Tod (Bastei) allerdings ist danebengegangen. Der Roman über ein Attentat auf die US-Präsidentschaftskandidatin während eines Seminarwochenendes in Idaho leidet an der furchtbaren Banalität des Story - local cop schnappt superdollraffinierten Killer, daran kann nie ein Zweifel bestehen und mehr bietet das Buch nicht. Absolut grottig übersetzt ist das Teil auch. Schade.

Der Profi

Noch grottiger übersetzt und absolut lektorats-frei, gerade was Passagen angeht, die in Berlin spielen, ist Der Profi von Brett Battles (Goldmann). Eine bescheuert krause Geschichte über ultrageheime Geheimdienste, Turbokiller, "Kaukasier" und Viren und immer wieder dem "Denkmal Großer Stern", womit doch nur die gute, alte Berliner Goldelse, vulgo Siegessäule gemeint ist. Schauderhaft.

So gesehen ein Beleg dafür, dass ein nicht ganz brillanter Roman von John le Carré immer noch milliardenfach besser ist als diese neuen bratzenden Wannabe-Polithtriller. Erstaunlich bei le Carrés Marionetten (Ullstein) ist sowieso das Gejohle in unseren Medien, weil das Teil in Hamburg spielt. Also überhaupt in Deutschland. Das reicht anscheinend als Qualitätskriterium, denn dass die deutsche Politik im Gefolge von Bushs post-9/11-Strategie zumindest im eigenen Land keine gute Figur gemacht hat, dass die Brits die "Pudel" der Amis gegeben haben, und dass die wiederum fröhlich auf den Menschenrechten herumhüpfen, wenn's einer dubiosen Raison dient - das wissen wir auch ohne le Carré. Der ist in diesem Buch einfach nur zornig. Das ergibt dann eben littérature engagée, was lobenswert ist. Aber nicht automatisch brillant.

Die gelbe Witwe

Eine gewisse knorzige Brillanz, wenn das Paradox erlaubt ist, haben die Romane um den Privatdetektiv Jussi Vares aus Turku. Erfunden hat ihn Reijo Mäki und Vares dritter Auftritt in Die Gelbe Witwe (Piper) funktioniert nicht so, wie man glaubt, dass ein Privatdetektiv-Roman zu funktionieren habe. Eine hübsch grimmige Geschichte über betrogene Betrüger, moralische Verwahrlosung, Gier und bewaffneten Anstand. Komisch, schräg, von blutiger Lakonie.

Denn Gewalt ist nicht nur in Krimis zu zähmen - als Thema in Kombination mit dem Verbrechen, mit Macht und Herrschaft, Gier und Lust siedelt sie mitten in unserem Sozialleben. Das war schon immer das große Thema von James Graham Ballard, dessen kapitales Buch Liebe & Napalm (im Original: The Atrocity Exhibition) von 1970 jetzt wieder in einer sorgfältigen Edition bei Milena vorliegt. Diese Prosasplitter, "condensed novels" (verdichtete Romane), wie Ballard sie nannte, sind radikale, extreme und komische Miniaturen über alles, was wehtut: Vom Kennedy-Attentat bis zur Apokalypse. Grandios.

Dazu sei Darkside I empfohlen, der Katalog (Steidl) zu der Winterthurer Ausstellung Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität - hg. von Urs Stahel. Gewalt und Sexualität können, so zeigen einschlägige Fotos von Man Ray bis Jeff Burton, Zusammenhänge eingehen, die nichts mit "Verbrechen" zu tun haben. Sie können aber auch Gewaltverbrechen simulieren, dokumentieren und unserem Voyeurismus ausliefern. Wie es Kriminalliteratur tut. Sehr instruktiv.

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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