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Wörtches Crime Watch 05/2006

 

Moses Naim: Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens

 

Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens Kriminalliteratur erzählt von Kriminalität, von Mord und Verbrechen. Aber sie möchte auch gern Unterhaltungsliteratur sein. Gleichzeitig, wenn sie Ambitionen hegt, möchte sie Literatur sein, die über Gut und Böse verhandeln kann. Und wenn es ganz hoch kommt, will sie erklären, wie es zugeht auf der Welt.

De facto aber erzählt sie uns zu beträchtlichen Teilen Märchen über irre Killer, schwachsinnige Komplotte, bizarre Metzeleien und deliriert über angebliche Aufklärungsarbeit. Ihr Realismus-Anspruch erschöpft sich in peniblen Schilderungen von Tötungsakten und im Entwerfen pathologischer Figuren. Mit Spielfeldern von Absurdistan bis "Gibts-hier-nicht" ist Kriminalliteratur in ihren Bestsellerprodukten geradezu zur realitätsvermeidenden Literatur geworden.

Allerdings eine, die sich dazu nicht bekennt. Das Vorgaukeln einer gefälschten Wirklichkeit gehört zum Geschäft. Denn die wirkliche Wirklichkeit - so problematisch diese Konstruktion ist - ist komplex, bedrohlich, chaotisch, kurz: nicht aufräumbar. Sich auf sie literarisch einzulassen, würde den Abverkaufserfolg eines Genres schmälern. Wie unbehaglich diese wirkliche Wirklichkeit aussieht, illustriert sehr schön das gerade erschienene »Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens« von Moises Naim. Naim war Handelsminister von Venezuela, Direktor der Weltbank und ist jetzt Chefredakteur der renommierten Foreign Policy. Kein Schwarmgeist, kein Verschwörungstheoretiker und ganz gewiss kein irgendwie subversiver Geselle. An den Problemfeldern Drogen, Waffen, Sklaverei und Menschenhandel, Geldwäsche und Markenpiraterie demonstriert er die rasante Entwicklung, die das "Organsisierte Verbrechen" in den Zeiten der Globalisierung genommen hat. Vor allem aber die Unzulänglichkeit überkommener Beschreibungsmuster.

Den starren Organisationen sind hochflexible Netzwerke gefolgt, die sich nicht mehr auf einzelne Branchen beschränken, sondern mit allem handeln, nach dem Nachfrage besteht: Technologie, Menschen, Geld, Drogen, Organe. Es geht nicht mehr um Drogendealer oder Schmuggler, sondern um "Investoren, Banker, Unternehmer, Makler, Spediteure, Lageristen, Großhändler, Logistiker, Lieferanten und so weiter". Es geht schon gar nicht um große Bosse, sondern um Infrastrukturen, bei denen legale und illegale Geschäfte unentwirrbar verknüpft sind; nicht mehr um einzelne "Schurkenstaaten", sondern um "schwarze Löcher", die auf praktisch jedem Territorium auftreten können, wenn sie nur politisch geschützt werden. Es geht nicht mehr um Produkte, sondern um "Transaktionen", um politischen Einfluss, der sich mit großen Geldmengen kaufen lässt.

Naim plädiert eindringlich dafür, endlich als Fakt ernst zu nehmen, dass die "illegale Wirtschaft von hohen Profiten angetrieben wird und nicht von niedrigen moralischen Standards". Sie ist ein "ökonomisches, kein moralisches Phänomen". Woraus folgt, dass die politisch wohltönenden Kraftakte zur Bekämpfung der Angebotsseite samt und sonders kontraproduktiv sind. Sie sind "telegen", wie alle aus den Nachrichten wissen, aber sie nützen nichts beziehungsweise dienen höchstens zur "Marktbereinigung", um noch höhere Gewinnspannen für bestimmte Güter zu legitimieren. Bekämpfung der Angebotsseite heißt auch immer, eine "klare Linie zwischen Gut und Böse" zu ziehen, die die "illegale Wirtschaft" von der legalen unterscheidet. Dies aber sei, so Naim, lachhaft, weil die Netzwerke tief in den "Mainstream" hineinreichen, in die Infrastruktur von Geldbewegung, Transport und Kommunikation.

Auch wenn Naim am Ende des Buches ein paar hübsche Vorschläge zur Eindämmung dieser Tendenzen macht - sie sind eher pour la galerie, weil auch er genau weiß, dass es keinen archimedischen Punkt außerhalb dieser Welt gibt, von dem aus diese Probleme zu lösen wären. So lange Profitstreben politisch gewollt ist, wird es Profitstreben geben. Als ökonomisches Problem.

Klar aber auch, dass große Teile von Kriminalliteratur diese Sicht der globalen Probleme nicht aufnehmen mögen. Weil dann die netten Dichotomien von Gut gegen Böse, Fall und Aufklärung wegfallen würden und der Unterhaltungseffekt kaputt wäre, der sich einem unbewiesenen Dogma zufolge genau an dieser binären Weltsicht festmacht. Fiktion und Realität liegen mal wieder im Handgemenge.

Moses Naim: Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens. (Illicit, 2005). Drogen, Waffen, Menschenhandel, Geldwäsche, Markenpiraterie. Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer und Helmut Dierlamm. Zürich und München: Piper, 2005. 406 S., 22,90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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