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Wörtches Crime Watch 09/2005

 

P. J. Tracy: Spiel unter Freunden und Der Köder

 

Spiel unter Freunden

Raymond Chandler hat einmal an Dashiell Hammett gerühmt, er sei derjenige gewesen, der den Mord an die Menschen zurückgeben hat, die zum Morden einen Grund haben. Gerichtet war diese Bemerkung gegen die doofen und intellektuell anspruchslosen Mordrätselspiele à la Agatha Christie und deren Nachfolger beziehungsweise -Innen.

Genau so waren in den letzten zwanzig Jahren die vielen serial-killer-Romane beschaffen. Mit oder ohne Profiler, mit oder ohne Rechtsmediziner - Hauptsache der serial killer war "das Böse", sozusagen die kriminalliterarische Beglaubigung der zunehmend erstarkenden christlich-fundamentalistischen Strömungen in den USA. Und als "Böses" konnte er, mit ein paar fadenscheinigen Motivationen aus dem Handbuch Psychopathologie für Dumme, metzeln, wie´s nur dem Abverkauf dienlich war. Gründe für Mord- und Totschlag brauchten diese Herrschaften genauso wenig wie die Pappfiguren aus Old Lady Agathas stramm chauvinistischem, aber schon längst untergegangenem Merry Old England.

Unbestreitbar ist aber auch, dass beide Prinzipe: "Wer ist der Mörder? Wie fängt man den Mörder?" literarisch funktionieren wie geschmiert. So gesehen ist der Unterschied von Agatha Christie und Patricia Cornwall minimal - Erfolg auf dem literarischen Markt ist garantiert. Großer Erfolg sogar, wenn der narrative Mechanismus nicht durch allerlei Ballast wie Gedanken, Ideen, Brechungen, Relativierungen, Verstörungen, gar unbequeme Realien am Flutschen gehindert wird.

Umso erfreulicher ist es, wenn mit einiger Aussicht auf Publikumserfolg in letzter Zeit wieder Romane auftauchen, die souverän genug sind, die beschriebenen Mechanismen sinnvoll zu funktionalisieren. In diese Gruppe gehören zwei Bücher von P. J. Tracy. Das Kürzel ist ein Pseudonym für ein Mutter-und-Tochter-Duo aus Minnesota. Ihr erstes Buch, »Spiel unter Freunden«, dementierte sarkastisch-blutig und mit komischem Grimm die zum Allgemeinplatz gewordene These, dass die Cyberwelt und die reale Welt im Grunde ununterscheidbar geworden sind. Ein Mörder spielt anscheinend die Gräueltaten eines Computerspiels nach - und hat doch sehr menschliche und gar keine virtuellen Gründe dafür.

Der Köder Noch mehr menschliche Gründe hat der Mehrfachtäter in ihrem zweiten Buch »Der Köder«. Hier werden alte jüdische Menschen in St. Paul, Minnesota, ermordet, die allesamt Überlebende der KZs waren. Sie waren Philanthropen, harmlose, nette Greise, aber eben auch ihrerseits Mehrfachtäter, weil sie Nazis in aller Welt getötet hatten. Opfer und Täter in einem. So wie auch ihr Mörder Opfer und Täter in einem ist - und vermutlich auch ein anständiger Mensch. Aber eben nicht nur. Diese differenzierten Figuren und unauflösbar komplexen Konfliktlagen, die P. J. Tracy in beiden Büchern aufbauen, sind ebenso differenziert literarisch hergestellt: Die Autorinnen haben große Freude an makabren Szenen und Situationen: Ein Doppelmord in der Kirche, eine Leiche auf dem Klo sitzend, ein Opfer, das auf Eisenbahnschienen gebunden wird und angesichts des nahenden Zuges am Herzinfarkt stirbt. Sie erfreuen uns mit intelligenten Dialogen, besonders die schwarzhumorigen Cop-Dialoge sind grandios. Die Figuren der Romane sind allesamt plausibel, weil sie facettenreich und weitgehend klischeefrei gezeichnet sind, gerade da, wo sie als literarische Funktionen eigentlich topisch sein müssten. Das Cop-Duo Magozzi und Rolseth, die schwer paranoide Grace MacBride mit ihrem ebenfalls paranoiden Hund, der Bonvivant im Rockeroutfit und die übergewichtige Sexbombe.

Das Schönste an den genüsslich zu lesenden Romanen aber ist, dass diese Komplexitätsaufladung gleichzeitig auch ein Generalangriff auf die Manifestationen der diversen amerikanischen Fundamentalismen der Bush-Ära ist: Ausgerechnet in Minnesota, im Kernland der USA, gibt es also Stimmen, die mit ihren Romanen gegen den "typisch" amerikanischen Wahnsinn anschreiben: Gegen die Antiraucherhysterie, gegen die durchgeknallte Ernährung, gegen Bigotterie, gegen einfache Weltbilder, weil all das zusammenhängt. Und dies sind bei P.J. Tracy keine Thesen oder Botschaften, sondern es ist die subtile erzählerische Substanz der Bücher. Komplexe Romane wider den Zeitgeist. Bei aller Verzweiflung, die uns angesichts der USA heute bisweilen befällt: Man sollte nie vergessen, dass sie ihre schärfsten Kritiker immer selbst produziert haben.

P. J. Tracy: Spiel unter Freunden. (Monkeewrench, 2003). Roman. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. Reinbek: Rowohlt, 2004 (1. Aufl. - Reinbek: Rowohlt Paperback, 2003), 392 S., 8.90 Euro (D)

P. J. Tracy: Der Köder. (Live Bait, 2004). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. Reinbek: Rowohlt, 2005, 442 S., 8.90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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