kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-Auslese 02/2001

 

Studio 6 Belangloses aus Hamburg: Die Schwedin Liza Marklund hat zu ihrem ersten Roman "Olympisches Feuer" ein Prequel vorgelegt - ihr neues Buch "Studio 6" (Hoffmann und Campe) ist nach dem ersten entstanden, spielt aber knapp acht Jahre davor. Hauptfigur ist die junge Reporterin Annika Bengtzon: Sie macht bei Stockholmer Zeitung "Abendblatt" eine Sommervertretung und hofft, nach Ablauf der Zeit für eine feste Stelle übernommen zu werden. Annika recherchiert im Fall einer ermordeten jungen Frau, die in einem Nachtclub namens Studio 6 arbeitete. Studio 6 heißt auch eine Polit-Krawall-Sendung im schwedischen Rundfunk, die sich dummerweise den Namen nicht hat schützen lassen. Und politisch wird's, weil einige Politiker im Nachtclub verkehrten, u.a. der schwedische Außenhandelsminister. Der Mann mit Hang zur schmuddeligen Freizeitgestaltung gerät zunehmend unter Druck, weil er obendrein noch eine Wohnung im unmittelbarer Nähe des Tatorts hält und für die Tatzeit kein Alibi vorweisen kann.

Liza Marklund selbst schaut grimmig-tough vom Cover, als machte sie Werbung für einen Domina-Club. Zwischen den Buchdeckeln allerdings verbirgt sich ein kuschelweichgespülter Text. Annika Bengtzon, die Protagonistin, ist eine langweilige und psychologisch unglaubwürdige Figur. Etwa, wenn sie im einen Augenblick vor Verlegenheit errötet, im nächsten einem dienstälterem Kollegen eine Standpauke über journalistische Ethik hält. Peinlich wird's, wenn uns die Autorin glauben machen will, der Mord an der jungen Frau führe zu einer Massenpsychose bei Jugendlichen, die in Scharen in bittere Tränen ausbrechen, so daß sozialpsychologische Betreuungsgruppen eingerichtet werden müssen.

Auch stilistisch ist der Text wenig erbaulich. An keiner Stelle ist das Bemühen um einen poetischen Ausdruck erkennbar - nicht mal ein überraschendes Adjektiv, irgendetwas, was die knochentrockene Prosa ein wenig aufweicht. Das ist kein Schreiben, das ist Tippen - möchte man in Anlehnung an Truman Capote sagen.

Liza Marklund: Studio 6. (Studio sex, 1999). Roman. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2001, 416 S., 44.90 DM

 

Ans Dunkel gewöhnt Ein neues, kleines Meisterwerk von Walter Satterthwait aus der Serie um den Privatdetektiv Joshua Croft und seine Partnerin Rita Mondragon ist dieser Tage im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen: "Ans Dunkel gewöhnt", so der etwas gewöhnungsbedürftige aber treffliche Titel, der auf ein Gedicht von Emily Dickinson anspielt.

Ernest Martinez - der Mann, der vor Jahren bei einer Schießerei Rita Mondragon schwer verletzte und ihren Mann William tötete - ist mit seinem Partner Lucero aus dem Staatsgefängnis von Santa Fe geflohen. Joshua und Rita, ahnungs- und arglos, sitzen auf der Terrasse vor ihrem Haus, als ein Schuss fällt. Rita bricht schwer verletzt zusammen und fällt in ein lebensbedrohliches Koma.

Während Rita ums Überleben ringt, beginnt Joshua auf eigene Faust zu ermitteln. Ohne Hilfe von außen wäre Martinez und Lucero die Flucht aus dem Gefängnis unmöglich gelungen. Crofts lose, aber von gegenseitigem Respekt geprägte Verbindung zu Norman Montoya, dem Don der organisierten Kriminalität New Mexicos, bringen einen entscheidenden Hinweis auf Sylvia Miller - einer Frau, die hinter einer starren bürgerlichen Fassade ein lichtloses Leben lebt.

Die Verfolgung führt Joshua auf einen weiten Weg: Denver, Texas und New Orleans, und schließlich landet er in Florida, wo er sich mit den Fieslingen ein erbittertes Duell in den Everglades liefert. Doch die Verfolgung wird nicht nur zu einer Reise durch den Süden der USA, sondern auch in seine eigene Vergangenheit und führt Joshua zu den Ursprüngen einer dummen Macho-Fehde.

Ein fingierter Unfall, bei dem die beiden Finsterlinge bis zur Unkenntlichkeit verkohlen, ist nicht die beste Lösung für einen Handlungs-Twist. Sei's drum. In dem aktuellen Geschrei auf dem Buchmarkt nimmt sich jemand wie Walter Satterthwait wunderbar altmodisch aus: Seine Romane sind stimmig bis in die Details. Er hat Figuren, die keinem modischen Trend aufsitzen, und schreibt lebensechte Dialoge. In jedem Kapitel finden Sie mehr Substanz und Fertigkeit als im Gesamtwerk so macher Autoren und -innen, die die Bestsellerlisten belegen.

"Ans Dunkel gewöhnt" bildet eine Klammer um die Joshua Croft und Rita Mondragon-Reihe. Wir hoffen, dass es keine abschließende Klammer ist.

Walter Satterthwait: Ans Dunkel gewöhnt. (Accustomed to the Dark, 1996). Roman. Deutsch von Klaus Schomburg. Deutsche Erstausgabe. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2001, 293 S., 18.50 DM, 9.50 Euro

 

Die letzte Wette Feiner Stoff ist auch "Die letzte Wette", der neue Roman des New Yorker Autoren Jason Starr (Diogenes). Jason Starr beleuchtet die dunklen Seiten des so hoch gepriesenen Wirtschaftsbooms in der Amtszeit Bill Clintons.

Dem Zocker Joey DePino steht das Wasser bis zum Halse: An keinem Wettbüro kommt er vorbei, ohne gleich sein ganzes Geld auf Pferde, Football oder Sonstiges zu verwetten. In letzter Zeit hat Joey obendrein viel Pech: Er verliert seinen Job, das Geld ist aus und auf dem Küchentisch stapeln sich die Rechnungen. Seine Frau Maureen hängt ihm in den Ohren, denn sie wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind und eine vernünftige Bleibe in einer anständigen Gegend. Dass der Kolumbianer mit den horrenden Zinssätzen, der Joey das Geld für die letzten Einsätze vorstreckte, seine Asche binnen ein paar Tagen wiedersehen will, verbessert auch nicht seine Laune.

Probleme hat nicht nur Joey, sondern auch David Sussman. Davids Probleme sind allerdings nicht finanzieller Natur, sondern privater: Er hat sich auf eine außereheliche Beziehung mit einer Angestellten seiner Werbeagentur eingelassen, der chinesischstämmigen Amy. David würde die Affäre gerne beenden, doch Amy droht ihm, seiner Frau Leslie von ihrem amourösen Abenteuer zu berichten. Und David weiß: Leslie würde ihn sofort mit Töchterchen Jessica verlassen, wenn sie von seinem außerehelichem Begehr erfährt.

David und Joey kennen sich. Ihre beiden Frauen sind Jugendfreundinnen. Aber white-collar-David und blue-collar-Joey mögen sich nicht. Als die Zahlungserinnerungen von Joeys kolumbianischen Geldgebern drängender und körperlicher werden, kommt Joey auf eine Idee, wie er seine Probleme auf einen Schlag lösen kann - und in seinem Plan spielt der Spitzenverdiener David eine entscheidende Rolle. Joey macht seine letzte Wette und riskiert alles.

Jason Starrs zweiter Roman ist ein finsteres Kammerspiel. Er kommt mit wenigen Figuren aus, und treibt die Handlung präzise von einer Wendung zur nächsten, bis sie schließlich in der Katastrophe kulminiert. Starrs Prosa ist knapp und unaufdringlich und seinem Anliegen angemessen. Der Roman lebt nicht von Überraschungen, sondern vom konsequenten Fortgang. Wie Jason Starr damit seinen Leser packen kann, ist verblüffend gut.

Jason Starr: Die letzte Wette. (Nothing Personal, 1998). Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Zürich: Diogenes, 2001, 39.90 DM

 

Remora Bitterböses auch von Jürgen Benvenuti aus Österreich. "Remora", so der Titel des Thrillers (Bastei Lübbe), ist die lateinische Bezeichnung für einen Fisch, der sich an einem Hai festsaugt und von dessen Abfällen lebt. Damit ist die Handlung des Romans umrissen. Abstrakt jedenfalls.

Konkret: Das Leben läuft ruhig für den Gangster-Boß Lazlo Biscolli. Bis ihm Antek Knapp, sein Adlatus, einen lukrativen Vorschlag unterbreitet: Biscolli solle ins Boxgeschäft einsteigen, da ließe sich risikolos viel Geld verdienen. In der Tat klingt alles prächtig. Biscolli schiebt Knapp die Angelegenheit rüber, damit er sich um alles kümmere. Doch Knapp hat seine eigenen Visionen: Mit einem verschobenen Boxkampf lässt sich noch mehr Geld machen. Vor allem, wenn man einen Batzen Kohle auf den garantierten Gewinner setzt.

Nun ist Geld nicht unbedingt das, was Antek Knapp in Mengen zu bieten hätte. Um eine gute Wette plazieren zu können, muss er welches auftreiben. Und dabei sticht er in ein Wespennest und bringt seinen Chef Lazlo Biscolli in eine prekäre Lage.

Jürgen Benvenuti schreibt rasante und gleichzeit wohltuend unaufgeregte Gangster-Romane. Er folgt dabei nicht eingelaufenen Pfaden à la Quentin Tarantino oder sonstigen Hollywood-Bildern, sondern sucht sich seinen eigenen Weg. War Punk noch die Hintergrundmusik des letzten Romans "Das Lachen der Hyäne", ist die Prosa des neuen Buches an Hip Hop orientiert - LL Cool J. etwa, und seine Boxhymne "Mama Said Knock You Out".

Benvenuti benennt nie den Ort, an dem seine Romane spielen. Damit bekommt die Geschichte eine eigenwillige zeitlose Dimension, die er mit seiner erzählerischen Fähigkeiten jederzeit einlösen kann. Bleibt zu hoffen, dass dem Mann auch die Aufmerksamkeit entgegenkommt, die seine Bücher verdienen.

Jürgen Benvenuti: Remora. Thriller. Originalausgabe. Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 2000, 204 S., 12.90 DM, 6.60 Euro.

 

Cheng Einen eigenen Weg geht auch der Österreicher Heinrich Steinfest. In "Cheng" (Bastei-Lübbe) erzählt Steinfest die Geschichte des chinesisch-stämmigen Wiener Privatdetektiven Markus Cheng, dessen Klient ermordet und mit der merkwürdigen Nachricht "Forget St. Kilda" aufgefunden wird. Chengs Ermittlungen führen ihn zu einem wütenden Vamp: Die düstere Lady fordert den Detektiv ebenfalls auf, nicht mehr an St. Kilda zu denken, bevor sie den beklagenswerten Mann in den Abgrund wirft. Damit nicht genug: Das Schicksal trifft den armen Detektiven hart, und schlußendlich landet er als tauber, hinkender, einarmiger und sonstwie lädierter Mann da, wo ihn die Österreicher am liebsten hätten: im chinesischen Untergrund. Und damit ist keine Widerstandsbewegung gemeint...

"Ein rabenschwarzer Roman", so lautet der Untertitel, und den gilt es zu beachten. Denn wer das Werk als Kriminalroman mit der entsprechenden Forderung nach Stringenz lesen will, kommt nicht weit. Steinfest ist ein Spezialist für in Klammersätze gepackte Reflexionen, mit denen er seine Handlung kommentiert. Und diese Reflexionen haben's in sich: etwa die, wo er den österreichischen Rassismus elegant als miesepetrigen Selbsthass uminterpretiert.

Cheng ist nicht nur eine irrwitzige Odyssee durch das winterlich-verschneite Wien, sondern eine Tour de force durch österreichische Befindlichkeit und Geisteshaltung. Ein rabenschwarzes Stück grantelnder Prosa, das viel Spaß macht. Da sei's verziehen, dass Steinfest vor lauter Klammern mal den Überblick verliert und bei mancher Verschachtelung nicht jede geöffnete Klammer auch geschlossen bekommt.

Heinrich Steinfest: Cheng. Ein rabenschwarzer Roman. Überarbeitete Neuauflage. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2000, 270 S., 12.90 DM, 6.90 Euro.

 

© j.c.schmidt, 2001

 

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