legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 01/2004

 

Ost Highway Was übrig blieb vom alten Jahr war der dringende Aufruf gutmeinender Menschen, doch noch Ost Highway von Stefan Maelck (Rowohlt Berlin) zu lesen, obwohl das Buch schon vor genau einem Jahr erschienen war und nicht gerade mit Aufmerksamkeit überschüttet wurde. Dabei kommt der Roman zunächst mal ganz flott daher, und Sätze wie: Er war einer »bei dem sich unter den Fingernägeln mehr abspielte als im Kopf« sind ja auch ganz okay. Aber wenn im ganzen Buch ein witzischer Spruch den anderen jagt, wenn alles, aber auch alles aus Literatur-, Musik- und Zeitgeschichte mit naseweisem Strebertum verwurstet wird, dann schaut man sich den plot des aufwändigen Spektakels schon genauer an. Und wird mürrisch. Denn wer die IM-Tante vom Radio im Studio Halle umgebracht hat, ist genauso uninteressant wie der abermalige Befund, dass erschreckend viele Leute, die unbedingt Kriminalromane schreiben wollen, sich für jede noch so belanglose Kleinigkeit mehr interessieren als für ihr Thema Mord und Verbrechen. Dafür muss dann die Fernsehunbildung reichen. Tut sie aber nicht.

Die Frau am Fenster Das Gegenprogramm kommt aus Zürich. Roger Graf hat mit Die Frau am Fenster (Ammann) ein komplexes, fein gemachtes police procedural vorgelegt. Eine neugegründete Mordkommission muss zwei Morde aufklären, die rätselhafterweise miteinander zusammenhängen. Und so rekonstruiert die Truppe, die unter erheblichem politischen Erfolgsdruck steht, zwei Leben bis in die feinsten Verästelungen. Graf inszeniert die Arbeit seiner Polizisten mit einer spröden, manchmal fast stachelig spröden, präzisen Sprache, verzichtet auf jede Art von Ambitionitis, Sensationalismus, schrille Action, Spaßfaktor, Kuschel-Gedödel oder sonstigen Unfug, und riskiert sogar, die unvermeidlich langweiligen Irrwege und öden Sackgassen der Ermittlung nachzuzeichnen. Graf gelingt mit dieser formalen und sprachlichen Strenge das Porträt einer seltsamen Stadt und einer festgefrorenen Gesellschaft. Die Frau am Fenster ist ein Musterbeispiel für ein Buch, das die Floskel »mehr als ein Krimi« voll erfüllt. Aber nur deswegen, weil es ein lupenreiner Krimi sein will und ist. Sperrig, aber grandios.

Die dunkle Lady meint es ernst Grandios aus ganz anderen Gründen sind schon seit Jahrzehnten die Romane von Reginald Hill. Bones and Silence aus dem Jahr 1990 ist jetzt endlich unter dem etwas seltsamen deutschen Titel Die dunkle Lady meint es ernst im Europa Verlag erschienen. Das Grandiose bei Hill, der weit vor John Harvey und Ian Rankin den Polizeiroman im UK aus den Klauen von Manieristen wie Colin Dexter oder Märchentanten wie P.D. James und Ruth Rendell befreit hatte, ist die säureklare Beschreibung realer Verhältnisse in Kombination mit viel Esprit. Hills Polizistentrio Dalziel, Pascoe und Wield fegt durch eine Handlung, die tragisch, witzig, geheimnisvoll und überraschend gebaut ist. Und Hill jagt seine Figuren und sein Lesepublikum gleichermassen mit Sprachmacht und Imaginationsfähigkeit durch die Labyrinthe einer Wirklichkeit, die eben im Kriminalroman ihre literarische Entsprechung haben. Form follows society.

Rote Frauen werden immer schöner Letzteres Credo war und ist auch das Programm des franzöischen Néo-Polars, also der bewußt politisierten roman noir. Deswegen ist es sehr zu begrüssen, dass die Assoziation A einen alten Haudegen dieser Spielart, Frédéric H. Fajardie, wieder präsentiert. Rote Frauen werden immer schöner (aus dem Jahr 1988) ist, wie nicht anders zu erwarten, eine gallig-böse Abrechnung mit dem sozialistischen Frankreich Mitterands aus dem Blick eines alten 68er-Kämpen. Wichtig dabei ist nicht das nostalgische Widerkäuen alter Illusionen, sondern die Leistungsfähigkeit des Krimis als radikal politische Literaturform. Das ist sicher nicht die einzige Möglichkeit des Genres; aber auf jeden Fall eine sinnvollere und legitimere als das ganze Grimmi-Geschnacksl mit Gute-Laune-Heimat-Faktor, das zur Zeit an unseren Nerven zerrt.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

« Leichenberg 12/2003 zurück zum Index Leichenberg 02/2004 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen