legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 02/2010

 

Blut will fließen

Für das Genre "Crime Fiction" ist James Ellroy ein wichtiger Autor. Er schreibt Thriller, die in keine Schubladen passen; seine Themen kommen aus den politischen, sozialen und historischen Realitäten, die man normalerweise nicht allzu genau betrachten möchte. Diese Realitäten transponiert er in seinen persönlichen, obsessiven Kosmos und verformt sie zu gewaltigen Textgebirgen. Hier, in Blut will fließen (Ullstein), dem letzten Drittel der Kennedy-Hughes-Hoover-Trilogie, die bis zu Watergate 1972 reicht, führt Ellroy ein riesiges Figurenensemble durch einen labyrinthischen Plot: Von einem Smaragdraub ausgehend erzählt er unter Blutfontänen von FBI-Verschwörungen, von rassistischen Kampagnen gegen die schwarze Bevölkerung, von Unternehmen der Cosa Nostra in der Karibik, von wahnsinnigen Aktionen aus der paranoiden Welt von Howard Hughes und von den bösartigen Intrigen des Richard M. Nixon. Mitten drin wie immer bei Ellroy das Los Angeles Police Department, anhand dessen history of violence er die Geschichte von Los Angeles weiterschreibt. Das ist alles beeindruckend megaloman und beeindruckend manisch. Aber auch wenn Ellroy ein wichtiger Autor ist, ein ganz großer ist er nicht. Das sieht man bei diesem Buch daran, dass er im letzten Drittel mit fast buchhalterischer Penibilität alle Ecken und Kanten rundfeilt, alle übriggebliebenen Reste zu einem schon fast idyllisch perfekten und glatten Sinnganzen fügt, das alles einfriedet und poliert, was eigentlich das Verstörungspotential des Buches ausmacht. Da ist Ellroy einmal mehr ein kleiner Literaturspießer.

Das kann man von Jim Nisbet wahrlich nicht behaupten. Sein Roman Dunkler Gefährte (Pulp Master) beschreibt in ungewöhnlich eloquenter Prosa die Implosion und letztendlich finale Desintegration des arbeitslos gewordenen Pharmakologen Tony Banerjhee, der lernen muss, dass die Welt nie so ist, wie man sie wahrnimmt. Ein sehr komischer, irrer und eigensinnig philosophischer roman noir.

Der Tourist

Ein ungewöhnlich gutes Deutschland-Debüt ist Olen Steinhauer mit seinem Polit-Thriller Der Tourist (Heyne) gelungen. Ein sehr komplizierter Plot aus den komplizierten, ziemlich menschenfeindlichen Irrgärten der Geheimdienste, die sich um und nach 9/11 in den USA und damit auf der ganzen Welt tummeln. Nach der relativen Schlichtheit des Kalten Krieges sehnt sich die Hauptfigur, Milo Weaver, zurück. Der ist nämlich troubleshooter, Killer und auch sonst eher ein Mann fürs Grobe bei der CIA, ein "Tourist", wie der behördliche Euphemismus heißt, und total ausgebrannt. Er denkt an Selbstmord, hat Identitätskrisen und Loyalitätskonflikte und steht am Ende ganz allein in einer ihm grimmig feindlich gesonnenen Welt. Wirklich? Ein Roman auf erstaunlich hohem Niveau, an manchen Stellen noch ein klein wenig unökonomisch, aber ganz klar ein Autor, der zu den Großen gehören könnte, dereinst.

Ganz anders ein Erstling aus Ghana: Trokosi von Kwei Quartey (Lübbe). Formal ein relativ biederer Whodunnit um eine ermordete Jungwissenschaftlerin auf dem flachen Land. Also ein Roman um Moderne und Tradition, um das alte und das neue Afrika, überhaupt um den Wandel eines ganzen Kontinents. Quartey, der in den USA lebt, hat mit dem stets gewaltbereiten, marihuanarauchenden, aber liebenswerten Inspector Darko Dawson einen vermutlich lange tragfähigen, serientauglichen Helden designt, aus dem noch etwas werden könnte.

Todeskälte

Noch ein Debüt: Jassy Mackenzie aus Südafrika: Todeskälte (Diana) ist ein ziemlich robuster Thriller um Immobilien, um das alltägliche Gewaltlevel in Johannesburg, um alte und neue Rassismen. Jade de Jong, die toughe Ex-Polizistin, die auch hin und wieder ohne großes Gedöns Leute erschießt, wäre als Hauptfigur noch glaubwürdiger, wenn das Buch nicht so arg durchsichtig gestrickt wäre. Am Ende jagt ein Klischee das andere und dass Polizei doch tatsächlich korrupt sein kann - wer hätte das gedacht? Aber Jade und ihr Gangster-Sidekick Robbie sind als Führer durch unschöne Realitäten zumindest ausbaufähig.

Der klassische Roman zum Verbrechen der Bücherverbrennung ist und bleibt Ray Bradburys Fahrenheit 451. Tim Hamilton hat den Roman als graphic novel adaptiert (Eichborn) und nicht etwa eine light-Fassung für Lesefaule daraus gemacht, sondern sehr eindringliche art-deco-noir Bildwelten geschaffen, die sich allerdings ohne Kenntnis des Romans nur mühsam erschließen. Aber wo steht, dass Kunst runterflutschen muss wie Softeis?

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

« Leichenberg 01/2010       Index       Leichenberg 03/2010 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen