legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 04/2007

 

Der Grenzgänger

Viktor Kärppä ist finnischer Staatsbürger, aufgewachsen in der Sowjetunion, heute Privatdetektiv in Helsinki und nicht nur in dieser Funktion mit dem Organisierten Verbrechen im baltischen Großraum verknüpft. Ein, nach E.T.A.Hoffmann, sehr »gesprenkelter Charakter«, erfunden von dem nordkarelischen Autor Matti Rönkä. Der Grenzgänger (grafit) heißt folgerichtig mehrdeutig der erste Roman um Kärppä, der voller faszinierender Geschichten aus einer Weltgegend steckt, über die wir viel zu wenig wissen. Nein, nein, Rönkä gibt uns keinen didaktisch wertvollen Nachhilfeunterricht, sondern baut seine Story nur so clever, dass wir gar nicht umhin können, eine Menge über die Vernetzung von Russen, Esten, Finnen, diversen Geheimdiensten, offiziellen Polizeien und dem Fluß von soliden Waren zu lernen. Das Schönste aber: Rönkä erzählt mit ganz wirkungsvollen Mitteln - kunstvoll einfach. Und das muß man in Zeiten des Schwurbels schon sehr hoch loben.

Grandios auch Petros Markaris' Der Großaktionär (Diogenes). Ein ganz und gar kratziges Buch. Kommissar Kostas Charitos ist, anscheinend muß man das immer noch betonen, kein netter, brummeliger Knortzkopf, sondern ein harter, reaktionärer Knochen von Polizist, der sein Handwerk unter der Militärjunta gelernt hat und sich hin und wieder diese Zeit zurückwünscht. In dem neuen Roman erzählt Markaris zwei Geschichten: Die von Charitos' Tochter, die auf einem Kreuzfahrtschiff in Terroristenhände fällt, und die von einer Mordserie an schwulen Werbe-Ikonen. Glücklicherweise verzichtet Markaris darauf, beide Stränge miteinander zu verweben. Nur Charitos und die griechische Realität in Geschichte und Gegenwart bilden die Klammer. Und diese Geschichte und Gegenwart sind nicht sehr schön. Ein extrem starkes Buch!

Callgirls

Callgirls (Goldmann) heißt ein neuer Roman von Elmore Leonard, der, tempus fugit, auch schon 82 Jahre alt ist. Was ihn nicht daran hindert, weiter an seinem Lebenswerk zu schreiben: Porträts und Geschichten aus den USA so wie sie in der feuilleton-notorischen Hochliteratur nicht vorkommen. Kluge, smarte Dialoge, eine nicht allzu euphorische Meinung von homo sapiens und eine gewisse achselzuckende Akzeptanz harter Realitäten machen den spezifischen Leonard-Sound aus, dessen Weisheit und Abgeklärtheit man mit zunehmenden Alter immer mehr zu schätzen weiß.

Schade, dass man das nicht auch für James Crumley behaupten kann. Natürlich ist es sehr erfreulich, dass die winzige Funny-Crimes-Reihe im winzigen Shayol Verlag sich Crumleys Land der Lügen (von 2001) angenommen hat und diesen durchaus wichtigen Autor im Bewußtsein hält. Doch ach, der Roman ist zäh, die alten Crumley'schen Gewalt-&Drogen-Exzesse kommen nur noch hysterisch und - paradoxerweise - gleichzeitig abgestanden rüber. Man kann darin natürlich ein poetisches Prinzip vermuten, das das Verschwinden alter Weltsichten bedauert und deren Zerfall beschreibt. Kann man, muß man aber nicht.

Der Metzger muss nachsitzen

Der Metzger muss nachsitzen (Leykam) heisst ein Debutroman, er stammt von dem österreichischen Multimedia-Mann Thomas Raab. Der erste Eindruck: Brauchen wir noch einen Haas/Wieninger-Klon? Brauchen wir noch was mit starker Austria-ness? Neee, brauchen wir nicht. Glücklicherweise kriegt Raab dann doch die Kurve und erzählt eine schön böse Geschichte mit etlichem Talent. Wir wünschen uns, dass er sich noch weiter von Maschen fernhält, dann wird er sicher noch richtig interessant.

Und nur falls jemand der Meinung ist, Kriminalität bestünde aus einer netten Mischung aus Beziehungstat und Serialwettkillen, dann werfe der bitte einen Blick in zwei extrem wichtige Bücher: Die Geschichte des organisierten Verbrechens von David Southwell (Fackeltäger), ein recht verläßliches Kompendium mit deutlich aktuellem Bezug, das wirklich global denkt - und die neue Studie von Mike Davis: Planet der Slums (Assoziation A), damit wir uns nicht in blauäugigen Romantizismen über urban crimes hingeben werden. Die Zukunft wird sich in 70-Millionen-Menschen-Giga-Slums abspielen - sie tut es tendenziell schon. Welch Themenfelder für ernstzunehmende Kriminalliteratur!

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

« Leichenberg 03/2007       Index       Leichenberg 05/2007 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen