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Joe Gores

 

San Francisco 1928: Ein junger Autor schickt sich an, mit seinem hardboiled-Stil die Kriminalliteratur zu revolutionieren. Während der Arbeit an seinem zweiten Roman »Der Fluch des Hauses Dain« wird er abrupt unterbrochen: Vic Atkinson, ein ehemaliger Kollege aus gemeinsamen Tagen bei der Pinkterton-Detektei, bittet ihn um Hilfe bei den Ermittlungen in einem Korruptionsfall, der die lokale Politik erschüttert. Da er sich kurz vor dem literarischen Durchbruch wähnt und sich aufs Schreiben konzentrieren will, weist der Autor Atkinson ab. Wenig später wird Atkinson mit eingeschlagenem Schädel tot aufgefunden. Um den Tod seines ehemaligen Kollegen aufzuklären und zu rächen, stellt der Autor seine schriftstellerischen Ambitionen zurück: Dashiell Hammett schlüpft ein letztes Mal in die Rolle des Detektivs.

»Hammett«, so der schlichte Originaltitel dieses Buches, stammt aus der Feder des amerikanischen Schriftstellers Joe Gores, der am 10. Januar 2011 einer Magenblutung erlag.

»Hammett« ist einerseits eine mit biographischen Fakten versetzte Fiktion über den Schriftsteller, der wie kein anderer Autor des 20. Jahrhunderts die Kriminalliteratur modernisierte. Gores' Roman ist nicht nur Verbeugung vor einer künstlerischen Ikone, sondern ein geschicktes, mehrbödiges Spiel mit Fakten und Fiktion: Hammett - der fiktive? der historisch-reale? - steht vor der Entscheidung, ob er sich als Schriftsteller mit fiktiven Verbrechen oder als Detektiv mit wirklichen Missetaten befassen will.

Eine deutsche Übersetzung des Romans erscheint 1978 unter dem Titel »Dashiell Hammetts letzter Fall«. Bekannter indes wurde Gores' Roman bei uns, weil er die Grundlage der ersten Hollywood-Arbeit des feuilleton-notorischen Filmemachers Wim Wenders war.

Die Biograhien Hammetts und Gores' weisen einige Parallelen auf: Beide lebten in San Francisco respektive der Bay-Area, wo überwiegend auch ihre literarischen Stoffe angesiedelt sind, und beide arbeiteten als Privatdetektive, bevor sie Schrfitsteller wurden.

Joseph Nicholas Gores, geboren am 25 Dezember 1931, wuchs auf in Rochester, Minnesota. 1953 absolviert er einen Bachelor in Englisch an der Notre Dame University, Indiana. 1961 folgt der Magister in Englischer Literatur an der Stanford University. Er verdingt sich in diversen Jobs - als Kohlenträger, als Fernfahrer, in Hotels -, schifft sich auf einem Frachter in die Südsee ein und lebt eine Weile auf Tahiti. Nach seinem Studium zieht es Gores nach Afrika - Konsequenz ausschweifender Tarzan-Lektüre in seiner Jugendzeit, wie Gores zu Protokoll gibt -, und unterrichtet an einer Schule in Kenia.

Neben seinen Tätigkeiten verfasst Gores ungezählte Stories, die ihm keiner abkaufen will. Seine ersten literarischen Erkundungen fallen in das Genre Abenteuerliteratur, dann wendet er sich zunehmend Kriminalgeschichten zu. 1957 endlich, nach buchstäblich Hunderten negativer Bescheide, gelingt es ihm, eine Story an das Pulp-Magazin »Manhunt« zu verkaufen, aber es wird noch einige weitere Jahre dauern, bis Gores regelmäßig Abnehmer für seine Geschichten findet.

Ein Bekanter erzählt Gores von seiner Arbeit als Privatdetektiv. Gores ist fasziniert von den Geschichten und bietet Dave Kikkert, dem Inhaber der Detektei, an, zwei Wochen gratis zu arbeiten. Kikkert gibt ihm eine Chance und überlässt Gores die Akte eines verschwundenen Mannes, der mit den Raten für seinen Wagen im Verzug ist. Gores verbeisst sich in den Fall: Er befragt 167 Leute an 57 unterschiedlichen Adressen, bis er den Mann mit der schlechten Zahlungsmoral endlich aufspürt - in einem Grab in Kalifornien, in dem der vermeintlich Vermisste bereits seit zwei Jahren lag. Kikkert hatte ihm die Akte eines toten Mannes gegeben, aber Gores hat sich mit seiner Hartnäckigkeit den Job erobert.

Joe Gores wird mehr als zehn Jahre für die Dave Kikkerts Agentur arbeiten, meist als »Repo-Man«, der säumigen Ratenzahlern die Autos aus der Garage holt. Dave Kikkert und die Kollegen der Agentur werden zum Vorbild der Firma »Daniel Kearney Associates«, von der Gores in diversen Short-Stories und einem halben Dutzend Romanen erzählt. Alle Fälle der »DKA-Files« reflektieren tatsächliche Ereignisse aus Gores Berufsleben - bis hin zu den unterschlagenen 32 Cadillacs aus dem gleichnamigen Roman von 1992. Die Arbeit in der Agentur beeinflusst Gores' Schreiben nicht nur inhaltlich, indem sie ihn stets mit frischem Material versorgt, sondern sie schult auch seinen Schreibstil: "Ohne es zu merken, hatte ich als Detektiv die Elemente erfolgreichen Schreibens gelernt, in dem ich Tausende Berichte schrieb, die die Kunden dazu bringen, unsere Rechnungen zu bezahlen - oder eben den Leser dazu bringen, für eine Story zu bezahlen." (1).

1967, zehn Jahre nach dem Verkauf seiner ersten Kurzgeschichte, ist Gores als Verfasser von Kurzgeschichten für diverse Magazine etabliert. Ein Verleger von Random House macht ihm den Vorschlag, sich an einem Roman zu versuchen. 1969 erscheint »A Time of Predators«. Der Thriller erzählt von einem Stanford-Professor, der seine eigenen moralischen und intellektuellen Prinzipien über Bord wirft und zum Rächer mutiert, als seine Frau von einer Bande Jugendlicher überfallen, vergewaltigt und in den Suizid gebtrieben wird. Der Roman wird 1970 mit dem Edgar als bestes Debüt ausgezeichnet. Im gleichen Jahr erhält Joe Gores noch einen zweiten Edgar - seine Short-Story "Goodbye, Pops" wird ebenfalls mit dem "Oscar der Kriminalliteratur" gewürdigt.

Im folgenden Jahr erscheint mit »Dead Skip« der erste Roman der Daniel Kearny Associates (die ihren ersten Auftritt bereits im Dezember 1967 in einer Geschichte im Ellery Queen's Mystery Magazine hatten). Gores hat, wenn man in der Bewertung Lawrence Block folgen möchte, ein neues Subgenre geschaffen: In Anlehnung an die police procedurals nannte Block die DKA-Geschichten "detective-agency procedural", da Gores die Arbeit der Privatdetektive realistisch darstellt und entmystifiziert: Hatte Dashiell Hammett den Privatdetektiv romantisch gezeichnet, als einsamen Ritter, der im urbanen Sumpf gegen das Böse kämpft, zeigt Joe Gores, dass der Arbeitsalltag des Detektiv von Routine geprägt und nur in Kooperation funktioniert. Gores schickt nicht einen einzelnen Detektiv ins Rennen, sondern ein Team in wechselnder Besetzung, Männer und Frauen.

Zwischen 1978 und 1986 erscheinen keine Gores-Romane. In dieser Zeit schreibt er fast ausschließlich für das Fernsehen, für TV-Krimi-Klassiker, wie etwa »Columbo,«, »Remington Steele», »Magnum, P.I.» und »Mickey Spillane's Mike Hammer«. Das Skript für eine Kojak-Folge bringt ihm den dritten Edgar ein - eine Ehre, die nebem ihm bisher nur William L. DeAndrea und Donald Westlake zuteil wurde. Gores und Westlake waren einander in enger Freundschaft verbunden und bezogen sich auch in ihrer schriftstellerischen Arbeit aufeinander: In »Dead Skip«, Gores' erstem DKA-Roman, hat Westlakes Gangster-Figur Parker einen Gastauftritt. Westlake revanchierte sich im gleichen Jahr und gewährte dem Kearny-Team einen kleinen Auftritt in seinem Roman »Plunder Squad«. Einmal tauschten die beiden Schriftsteller gleich ein ganzes Kapitel aus, das allerdings jeweils aus anderer Perspektive erzählt wird: In Westlakes »Drowned Hopes« (1990) und Gores »32 Cadillacs« (1992) treffen die Dortmunder-Gang und die Detektive der Dan Kearny Associates aufeinander.

Anders indes als Donald Westlake oder andere Größen der US-Kriminalliteratur nimmt sich Joe Gores Werk mit rund zwanzig Buchveröffentlichung in fünfzig Jahren eher schmal aus. Sein letzter, zu Lebzeiten veröffentlichter Roman »Spade & Archer« führt ihn wieder zu Dashiell Hammett zurück. Nach langen Verhandlungen konnte Joe Gores Hammetts Erben die Genehmigung abringen, eine Fortsetzung zum legendären Roman »Der Malteser Falke« schreiben zu dürfen. Da aber zu viele Figuren tot oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt waren, wurde aus dem Projekt tatsächlich ein prequel, das in der erzählten Zeit vor dem Original spielt. »Spade & Archer« erhielt viele positive Besprechungen. Das überwältigendste Lob indes stammte von Hammetts Tochter Jo Marshall: Bei der Lektüre von »Spade & Archer« habe sie völlig vergessen, dass der Text nicht von ihrem Vater, sondern von Joe Gores stammt.

Joe Gores starb am 10 Januar 2011 - auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Tod Dashiell Hammetts.

 

(1) Joe Gores: Why I Write Mysteries. Unter
http://www.mysterynet.com/books/testimony/why-i-write-mysteries-joe-gores/

 

Romane:
A Time of Predators
[New York: Random House, 1969]
[London: W. H. Allen, 1970]
1969 Der Killer in dir
[München: Heyne, 1987]
[München: Goldmann, 1979]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1970 unter dem Titel »Die Leichenmacher«]
Interface
[New York: M. Evans, 1974]
[London: Orion, 2004]
1974 Der Stoff, aus dem die Morde sind
[München: Goldmann, 1979]
[Frankfurt/M.: Ullstein, 1974 unter dem Titel »Interface«]
Hammett
[New York: Putnam, 1975]
[London: Raven Books, 1976]
1975 Hammett
[Zürich: Unionsverlag, 2007]
[München: Heyne, 1988]
[München: Goldmann, 1978 unter dem Titel »Dashiell Hammetts letzter Fall«]
Come Morning
[New York: Mysterious Press, 1986]
1986 Runyan's Coup
[München: Heyne, 1989]
[Hamburg: Kabel, 1987]
Wolf Time
[New York: Putnam, 1989]
1989 Die Rache des Jägers
[München: Heyne, 1990]
Dead Man
[New York: Mysterious Press, 1993]
1993 Der Mann aus dem Totenreich
[München: Heyne, 1997]
Menaced Assassin
[New York: Mysterious Press, 1994]
1994
Cases
[New York: Mysterious Press, 1999]
1999
Glass Tiger
[Orlando: Harcourt, 2006]
[London: Quercus, 2006]
2006
Spade & Archer.
The Prequel to Dashiell Hammett's The Maltese Falcon
[New York: Alfred A. Knopf, 2009]
[London: Orion, 2009]
2009

 

DKA-Files:
Dead Skip
[New York: Random House, 1972]
[London: Gollancz, 1973]
1972 Zur Kasse, Mörder
[München: Heyne, 1989]
[München: Goldmann, 1981]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1973]
Final Notice
[New York: Random House, 1973]
[London: Gollancz, 1974]
1973 Überfällig
[München: Heyne, 1989]
[München: Goldmann, 1981]
[Frankfurt/M.: Ullstein, 1974 unter dem Titel »Zahltag ist um sechs«]
Gone, No Forwarding
[New York: Random House, 1978]
[London: Gollancz, 1979]
1978 Unbekannt verzogen
[München: Heyne, 1988]
[München: Goldmann, 1979]
32 Cadillacs
[New York: Mysterious Press, 1992]
1992 32 Cadillacs
[München: Heyne, 1994]
Contract Null & Void
[New York: Mysterious Press, 1996]
1996
Stakeout on Page Street.
And other DKA files
[Norfolk, Va.: Crippen & Landru, 2000]
2000
Cons, Scams & Grifts
[New York: Mysterious Press, 2001]
2001

 

Anthologien:
Honolulu, Port of Call
A Selection of South Sea Tales
(ed. by J.G.)
[New York: Ballantine Books, 1974]
1974
Tricks and Treats
(ed. by J.G. and Bill Pronzini)
[Garden City, N.Y.: Doubleday, 1976]
1976
Mostly Murder
[Eugene, OR : Mystery Scene Press / Pulphouse Publishing, 1992]
1992
Speak of the Devil.
14 Tales of Crimes and their Punishments
[Unity, Me.: Five Star, 1999]
1999

 

Sachbuch:
Marine Salvage.
The Unforgiving Business of No Cure, No Pay
[Garden City, N.Y.: Doubleday, 1971]
[Newton Abbot: David and Charles, 1972]
1971

 

Eine Liste aller Joe Gores-Stories finden Sie auf der The Thrilling Detective Website unter
http://www.thrillingdetective.com/trivia/gores.html

 

Gossip:
Ein außergewöhnliches Date ebnete die bis zu seinem Tod währende Ehe mit Gores' Frau Dori: Gores fragte Dori, ob sie abends ins Kino gehen sollten, oder ob sie Lust hätte, mal was Anderes zu machen. Auf Doris Nachfrage erklärte schriftstellernde Detektiv, dass er noch einem Mann das Auto aus der Garage holen müsse, weil dieser die Raten nicht bezahlt habe, und ob Dori ihn begleiten wolle. Der besondere Kitzel des Jobs bestand darin, dass der Mann ein bekannter Auftragsmörder der Mafia war, aber Dori ließ sich auch davon nicht abschrecken, und zog den Repo-Job beim Mafia-Mann einem Abend im Kino vor. Da war Gores sich sicher, die richtige Frau gefunden zu haben.

 

Weitere Quellen und Links:
William Grimes: Joe Gores, Crime Writer in Dashiell Hammett Mode, Dies at 79. In: New York Times, 13. Jan. 2011, online:
http://www.nytimes.com/2011/01/14/arts/14gores.html
Kara Platoni: Sleuth or Dare. How Joe Gores recreated Sam Spade. Stanford Magazine, May/June, 2009, online:
http://www.stanfordalumni.org/news/magazine/2009/mayjun/features/gores.html
Sam Whiting: Joe Gores, mystery writer, dies at 79, San Francisco Chronicle, 14. Jan. 2011, online:
http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/c/a/2011/01/14/BAJF1H8ILK.DTL

 

© j.c.schmidt, 2011.

 

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