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Leichenberg 05/2005

 

Welt in Angst Wenn das mediale Dauergetöse weitergezogen ist, und eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, kann man sich die alte Sau in Ruhe angucken. Welt in Angst von Michael Crichton (Blessing) in diesem Fall. Fahle Erkenntnis: Die Mär von den bösen, miesen, fiesen Umweltschützern, die vor Fake-Tsunamis nicht zurückschrecken, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, ist so erbärmlich auf Skandal und Provokation um der Provokation willen angelegt wie ein Versuch, Mozart nachzuweisen, dass er nicht komponieren konnte. Marketing als Daseinsgrund für Romane, nix Neues. Aber erschreckend, dass der o.a. Medienzirkus jeden, aber auch jeden Unfug so ernsthaft diskutiert, wie es mit wirklich ernsthaften Themen selten passiert.

Wirklich ernsthafte Themen der Zeit hingegen bietet der Zusammenhang 9/11, Afghanistan, Taliban, Al Qaida und Co. in Hülle und Fülle. Michael Lüders, der für »Die Zeit« kluge Berichte darüber liefert, hat einen dito klug ausgedachten Roman über eine verpfuschte deutsche Geheimdienstoperation in diesem Krisengebiet geschrieben: Der Verrat (Arche). Ein Polit-Thriller, der großartige, erfahrungsgesättigte Passagen enthält - so wie z.B. einen atemberaubend geschilderten Hubschrauber-Angriff der Amis auf ein kleines Städtchen in Afghanistan. Aber eigene Erfahrung und ein clever ausgedachter Plot reichen nicht für einen Roman, der mit einer sehr prätentiösen Hauptfigur, einer auch sprachlich dem pikanten Heftchenroman angeglichenen, unnützen Liebesgeschichte und anderen literarischen Ungeschicklichkeiten aufwartet. Irgendwie schade, aber den Autor merken wir uns trotzdem.

Betriebsbedingt gekündigt Dito schade: Betriebsbedingt gekündigt von Iain Levinson (Matthes & Seitz). In einer trostlosen amerikanischen Stadt werden Arbeitsplätze abgebaut, das nackte Elend zieht ein und die Hauptfigur des Romans wendet sich einem neuen Beruf zu: Killer. Das ist eine nette Idee, die, so wie Levinson sie anlegt, eine nette Short Story ergeben hätte, aber für einen Roman zu kurzatmig ist. Und insofern bald redundant und zäh wird. Zudem ist das ganze Projekt eine Cover-Version von Donald Westlakes »Der Freisteller« (»The Axe«) - und Westlakes Fussstapfen sind schon sehr groß. Zu groß für Levinson.

Richtig groß hingegen ist Fred Vargas, wie auch Der vierzehnte Stein (Aufbau) wieder beweist. Mirakulöserweise kann sie minutiösen Detailrealismus und fast symbolistische Handlungselemente blendend verbinden. So entsteht grimmige Poesie. Ihr »Wolkenschaufler«, der Kommissar Adamsberg wird seinem Kollegen Isaac Sidel (aus der Welt von Jerome Charyn) immer ähnlicher - Mythos, Wahn, knallharter Pragmatismus, die Füße immer drei Millimeter vom Boden erhoben, das Wahrscheinliche immer zwei Millimeter vom Unplausiblen aufs Äußerste geknautscht, aber nie aufgegeben. Und ein Set von Figuren, dass so abgedreht ist, dass die Personen nur wahr sein können. Grandios.

Betriebsbedingt gekündigt Das ist auch Reginald Hill, diesmal mit Die Launen des Todes (Droemer). Das Buch geht da weiter, wo Die rätselhaften Worte aufgehört haben, jongliert fröhlich mit Hans Holbeins Totentanz, der Briefliteratur des 18. Jahrhunderts und viktorianischem Grusel, verpflanzt dies alles völlig organisch ins Yorkshire von heute, fordert den kompetenten Leser allerlei Geschlechts, und kitzelt dessen Snobismus auf durchaus charmante Art und Weise mit allerlei Exzentrik.

Und siehe da: Nicht alles, auf dem »Regio« steht, muss a priori blöde sein: Tatort Bayern, hg. von Angela Eßer (Grafit) ist eine ebenso durchaus charmante Veranstaltung, die aus der liberalitas bavariae flugs die criminalitas bavariae herauszusezieren versteht. Dieser schöner Kalauer ist leider nicht von mir, sondern von Großstoiker Ottfried Fischer, der ein treffliches Vorwort zu dem vergnüglichen Bändchen geschrieben hat.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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